Vibecheck. Zu Besuch in Wiens Plattenläden (Teil 1)
SILUH LADEN

Zu spät. Hektisch stolpere ich zur Tür herein. „Hallo. Sorry!” – “Hey, kein Problem”, entgegnet mir Clara, unsere Fotografin, gutgelaunt. Hinter dem Tresen grinst mir ein schlacksiger Typ entgegen. „Wir kennen uns eh schon,” begrüßt er mich. Bernhard Kern leitet Siluh, das Label, den Laden, und die Veranstaltungsreihe. Der Siluh Laden ist ein kleines, lichtdurchflutetes Gassenlokal, das direkt an der Friedensbrücke im 20. Bezirk liegt. Es ist clean und aufgeräumt, hat ein bisschen was von einem Büro. „Ist das hier auch dein Office, oder?”, frage ich Bernhard, nachdem ich mich kurz umgesehen habe. „Ja, der Laden ist gleichzeitig Shop, Büro und Label-Lager”, erklärt er. „Das Label ist viel früher dagewesen. Wir haben heuer 20-jähriges Jubiläum gefeiert. Den Shop gibt’s erst seit 2019.” Siluh Records fungiert als eines der erfolgreichsten Indie-Outlets der Stadt. Bernhard hat dutzende lokale Bands entdeckt und aufgebaut, darunter Szenelieblinge wie Wolfgang Möstl und Mile Me Deaf, CULK, Euroteuro oder DIVES. Es wundert also wenig, dass der Shop eigentlich als Community-Treffpunkt begonnen hat.

Bernhard führt uns in die geräumige Küche im hinteren Bereich des Lokals. „Kann ich euch einen Kaffee anbieten?” Clara nickt. Wir lassen uns in die bequeme, moosgrüne Couch in der Küche sinken. „Begonnen hat der Siluh Laden als Ausläufer vom Label,” führt Bernhard weiter aus. „Ich hatte damals noch keine Öffnungszeiten. Hin und wieder sind befreundete Musiker:innen vorbeigekommen”, erzählt er, während er an der Kaffeemaschine hantiert. „Langsam ist daraus dann der Shop gewachsen. Magst du Hafermilch hinein?” Clara winkt ab. Die Kaffeetassen sehen selbst getöpfert aus. „Ja, von meiner Freundin. Die hat gleich nebenan ihren Studiospace”, teilt uns Bernhard mit. Überhaupt fühlt sich hier alles sehr familiär und cosy an. Als er sich zu uns setzt, deute ich auf sein Shirt. „Ich hasse Bands” ist darauf zu lesen. Ganz ernstzunehmen ist das wohl nicht.

Wie die Kuratierung des Shops aussieht? „Ich stecke viel Zeit rein und überlege mir ganz genau welche Platten ich anbiete. Deshalb find ichs auch immer schön, wenn wer kommt und das Sortiment durchstöbert”, führt Bernhard aus. „Ich profitiere auch sehr von den Musik-Tipps die mir die Kund:innen so geben. Ich bin früher ja selbst auch sehr gern in Plattenläden gegangen, einfach nur um Zeit totzuschlagen, und hab geschaut was es gibt. Ich seh den Plattenladen vordergründig als sozialen Ort.” Und wie’s mit dem Label so läuft? „100 Releases gibt es schon!” Sein Lieblingsrelease? „Eine Cover-LP: Siluh-Bands covern Lieder ihrer Label-Kolleg:innen.” „Witzige Idee eigentlich”, bemerke ich, bevor ich einen Blick aufs Handy werfe: „Clara, wir müssen los, wir sind schon viel zu spät! Danke für deine Zeit, Bernhard!” Schneller Handshake und hinaus auf die Straße. Mittlerweile hat es zu nieseln begonnen. „Nehmen wir die Straßenbahn! Nächste Station: Musikversorgung Steiner!”
Siluh Laden (1200 Wien)
Adresse & Öffnungszeiten
Wallensteinstrasse 4, 1200 Wien
Dienstag & Donnerstag 10-17.00 Uhr
Gründungsjahr?
2019
Was du hier findest
Vinyl, Tapes, eine Handvoll Bücher, ein bisschen 2nd Hand, und ganz wenige CDs
Stilistische Ausrichtung?
Indie / Underground
Anatolian / Afrobeat / ….
Jazz / Outspaced
Releases aus Wien
Specials?
Ausläufer vom Label Siluh Records
Kleines aber sorgfältig ausgewähltes Repertoire
MUSIKVERSORGUNG STEINER

Eine knappe Stunde nach unserem ausgemachten Termin stehen wir in der Westbahnstraße, der „Fotomeile”, wie Clara anmerkt. Die Fotogalerie Westlicht befindet sich hier. Drumrum tummeln sich einige Kamerashops. Außerdem gibt es das Fortuna, ein Underground-Beisl, in dem sich die Szene zum Feierabend-Bier trifft. Noch hat es geschlossen. Direkt daneben finden wir dann unser nächstes Ziel, „Musikversorgung Steiner” und drinnen Marco Steiner. Marco sitzt nicht, er steht hinter der Holztheke, wartend, angespannt und leicht genervt: „Ihr seid zu spät und ich hab noch soviel Buchhaltung zu tun. Ich hab dir ja gesagt, dass ich morgen auf Urlaub fahre.” Der vorwurfsvolle Ton weicht zum Glück schnell, als ich mich entschuldige und das Gespräch auf die Band Autor lenke. Es sind gemeinsame Bekannte. Ihre Platte „Kommen und Gehen” ist gerade auf Contergan Punk, Marco’s Label erschienen. „Ja, die sind super. Es kommen auch viele Offers für sie rein. Sie könnten auf Festivals spielen, aber irgendwie machen sie’s nicht.” Diesen Anti-Spirit kann man bestimmt auch von Marco haben, denke ich mir. Sage aber nichts, denn der anfängliche Grant meines Gesprächpartners ist mittlerweile einer sanften Freundlichkeit gewichen.

„Musikversorgung ist sowas wie ein Szeneshop”, erlärt er uns. „Den Laden gibt’s seit September 2023. Er geht auf meine erste Distro zurück, die ich 1999 angefangen habe und die es eigentlich durchgehend in irgendeiner Form gegeben hat. Bis ich dann den Laden aufgemacht habe.” Wie sich das Geschäft innerhalb so kurzer Zeit etablieren konnte? „Das liegt auch am Fortuna nebenan. Das ist so ein Skater Vereinslokal und am Donnerstag gibt es Vernissagen, da kommen die Leute dann von drüben rüber. So hat es sich rumgesprochen.” Der Laden ist eine Fundgrube für DIY-Veröffentlichungen. Neben einem Haufen Platten, gibt es Regale voller Tapes. Auch Zines und Shirts finden sich hier. Und was für einen Sound vertritt er so? „Ich würd’s vor allem als Underground Musik bezeichnen. Viel Punk, Hardcore, Garage, Metal, Post Punk, Synth, Indie, Krautrock etc. Bei dem Großteil vom Inventar bin ich mir sicher, dass es kein anderer Laden in Wien anbietet.” Überraschend kommen zwei Typen, vermutlich Vater und Sohn, zur Tür herein. „Wir haben geschlossen.” ruft Marco ihnen zu, nicht unfreundlich, aber bestimmt. Fragend sehen sie ihn an. „We’re closed” übersetzt er. Still und leise ziehen die beiden Touris wieder ab. Als ich ihn frage, wer hier für normal so vorbeischaut und ob das v.a. befreundete Personen sind, oder auch viele Tourist:innen, meint Marco: „ Unterschiedlich. Aber es sind schon sehr viele Leute aus der Punk Szene, hauptsächlich aus Wien, aber auch regelmäßig Leute aus Graz, Linz, Innsbruck. Tourende Bands kommen auch oft und viele von den Fortuna Stammgästen, Metaller, etc.”

Letztes Jahr hat Marco auch ein Festival ins Leben gerufen. Es trägt den klingenden Namen „Destroy Vienna” und fand dieses Jahr zum ersten Mal an vier Abenden in Kooperation mit der Arena Wien und dem Venster99 statt. Kredibilitätshalber ohne Förderung. Bereits die erste Ausgabe war erfolgreich. „Es ist ein Punkfest, bei dem auch internationale Gäste spielen. Dieses Jahr hatten wir z.B. eine brasilianische Band dabei.” Der Termin für nächstes Jahr steht auch schon: „18-21. Juni 2026,” erfahren wir und bekommen einen Flyer zugesteckt. In welche Läden er uns noch so schicken würde, frage ich abschließend und im Wissen, dass seine Zeit drängt. „Substance und Market – die sind auch beide in der Westbahnstraße. Substance ist eh eine Institution und braucht nicht viel Erklärung, Market ist ein Nischenplattenladen für elektronische Musik. Auch wenn beide nicht unbedingt meine Musik anbieten, sind die zwei halt einfach wichtig für eine alternative Musikszene in Wien. Für Second Hand mag ich Wienyl und Teuchtler gerne, da kann man immer was finden aber man muss auch viel Zeit haben…” Im Aufbrechen fällt mir dann noch ein, dass ich die Autor Platte kaufen wollte. „Die ist schon ausverkauft,” erwidert Marco. “Ich würde sie ja Nachpressen, aber die Band ist noch unsicher.” Er zuckt mit den Achseln. “Aber frag doch mal Dominik, ich glaub der hat noch welche.” Marco begleitet uns hinaus auf die Straße. Erst jetzt fällt mir auf, dass das Geschäft auch über einen Outdoor-Bereich verfügt. Hier sind Holztische und Bänke aufgebaut, mit Grün drumherum. Definitiv super, um mit einem Bier abzuhängen und sich zu verquatschen. Aber dafür ist heute keine Zeit. Clara und ich bedanken uns, wünschen Marco noch alles Gute für Buchhaltung und einen entspannten Urlaub und laufen die Westbahnstraße weiter. Next stop: Substance.

Musikversorgung Steiner
Adresse & Öffnungszeiten
Westbahnstrasse 25, 1070 Wien
Dienstag – Freitag 13-19 Uhr, Samstag 12-17 Uhr
Gründungsjahr?
2023
Was du hier findest
Vinyl, Tapes, Bücher, Fanzines, VHS, Shirts, Taschen, etc. – Neu und Second Hand
Stilistische Ausrichtung?
Underground Music – Punk, Hardcore, Garage, Metal, Post Punk, Synth, Indie, Krautrock,…
Specials?
1. Das Label Contergan Punk ist das hauseigene Plattenlabel
2. der Danger Donnerstag – an dem Tag kommen viele Leute vorbei zum abhängen und Bier trinken, im Fortuna nebenan sind an dem Tag meistens Vernissagen; manchmal wird’s sehr voll
3. Unsere eigene Grätzloase vor der Türe.
SUBSTANCE RECORDSTORE

Das Substance gilt wie Marco Steiner bereits angemerkt hat, als Institution in Wien. Denkt man an Plattenläden in der Stadt, denkt man ans Substance. Erstmal. Hier tummeln sich neben Pop- und Rock-Afficionados, die Experimentalmusik-Nerds, neben Free Jazzer:innen die Elektronik-Heads und auch Liebhaber:innen härterer Genres kommen auf ihre Kosten. Nicht ohne Grund ziert ein Foto von Keiji Haino und Merzbow die Wand hinter der Verkaufstheke. Daneben findet sich ein Foto von Akte-X Schauspielerin Gillian Anderson. Corinna, eine ehemalige Substance-Mitarbeiterin, hat ihren Arm um sie gelegt und grinst dazu übers ganze Gesicht. Egal ob Hollywood-Stars, Japanoise-Legenden, oder der dick-bebrillte Sammler-Nerd von nebenan — sie alle sind Kund:innen im Substance. Und das aus gutem Grund: das Genre-Spektrum ist um einiges breiter gefächert, als man es von anderen Läden kennt, dennoch ist das Angebot sorgfältig kuratiert. Hier findet man Kleinstauflagen-Editionen neben CDs von David-Bowie, Sammlerobjekte neben den neuesten Releases der angesagtesten Labels.

Auch der Vibe des Ladens ist irgendwie anders, lockerer. Nicht so elitär und exklusiv. Man muss hier kein:e Expert:in sein. Hier fühlt sich niemand überlegen, auch blöde Fragen dürfen gestellt werden. Verantwortlich für diese unverkrampfte Atmosphäre sind nicht zuletzt die Substance-Betreiber Thomas Gebhart und Konstantin Drobil. Konstantin, Thomas langjähriger Freund und Geschäftspartner ist mittlerweile seltener im Laden. Er kümmert sich mehr um das hauseigene Label Trost Records, das Platten von Größen wie Peter Brötzmann, oder dem Aktionskünstler Hermann Nitsch im Backkatalog führt. Auch Thomas ist ins Label involviert, kümmert sich wiederum aber mehr um den Laden.

Als wir zur Tür reinkommen, sehe ich erstmal niemanden. Im Shop ist gerade nicht viel los. Als Thomas eine Minute später aus dem Lager nach vorne kommt, nickt er uns zu. Unaufgeregt wie immer: „Und? Wo kommt ihr gerade her?” Er deutet uns an, nach hinten zu kommen. Hier hat man den Laden im Blick, ist aber geschützt von der Kundschaft. Rauchen geht auch. „Zu Marco hätte ich euch eh auch geschickt,” nickt er. „Der ist ja auch gleich hier.” Als er sieht, wie ich in meiner Tasche krame, streckt er mir eine Zigarette hin: „Du kannst eine von mir haben.” Thomas, oder Gepi, wie seine Freund:innen ihn nennen, und ich kennen uns seit über zehn Jahren und sind gut befreundet. Vor Jahren hatten wir sogar unsere eigene Konzertreihe, gemeinsam mit dem 2021 verstorbenen Editions Mego Labelchef Peter Rehberg, einem engen gemeinsamen Freund. TTS nannten wir uns. Das ist jetzt auch schon länger her.

Gepi ist ein Understatement-Typ, cool, unprätentiös, rastlos, und einer der versiertesten Musikkenner, die ich kenne. Genre? Nebensächlich. Hauptsache gute Musik. Jetzt kommt auch Wolf, langjähriger Substance-Mitarbeiter gerade aus seiner Mittagspause zurück und lacht mich an. „Na? Du auch da?” Ich lächle zurück und fühle mich an die Zeit erinnert, als ich mich hier als Verkäuferin versucht habe und schon in der ersten Probewoche rausflog. Kund:innenbetreuung war definitiv nicht meine Stärke und auch meine Aufmerksamkeit war zu zerstreut, um zu bemerken, wenn die Platte, die für den Sound im Laden sorgt, schon seit einer halben Ewigkeit in der Leerrille lief. Im Moment tönt japanischer Pop aus den Boxen. Aus der 70ern, schätzungsweise. „Du findest in fast jedem Genre was Gutes,” antwortet Thomas auf die Frage, für welchen Sound das Substance eigentlich steht. „Außerdem ist Wien zu klein, als dass man sich auf ein Genre spezialisieren sollte.” Als ich meinen Blick über die zahlreichen Kartons im Gang streifen lasse, fallen mir Kinderplatten von den Schlümpfen und Heidi in den Blick. „Was habt ihr denn da?” Wir müssen alle lachen.

Rares und Obskures gibt es jede Menge, darunter die auf 100 Stück limitierte, 300€ schwere Merzbow-Holzschachtel eines kleinen italienischen Insider-Labels, oder ein bulkiger, weißer Walkman des Kultlabels Daïs – mit Bluetooth-Anschluss! – , oder eine kleine Box von den British Murder Boys, in der sich kein physischer Release befindet, dafür zahlreiche Gimmicks und ein Download-Code. Neben diesen Highlights, die jedes Sammler:innen-Herz höher schlagen lassen, findet sich aber auch Alltägliches im Laden. „Pop-CDs gehen gerade wieder erstaunlich gut.” – „CDs sind nicht so meins” kommentiere ich, „die sind bei mir sofort zerkratzt. Aber habt ihr neue Bücher?”. „Musst schauen”, meint Gepi und begleitet mich zum Bücherregal. Hier gibt es von einer Band-Monografie der Swans über Cosey Fanni Tutti’s Autobiografie „Art Sex Music” zum Virginie Despentes Kult-Roman „Vernon Subotex” genug zu stöbern. Darüber übersehe ich, dass es schon wieder zu spät wird. „Wir müssen weiter!”, rufe ich Clara zu. „Gepi, wir schauen jetzt zu Fritz ins Market. Kommst du mit?” Thomas überlegt kurz. „Ok, gehen wir!”

Substance Recordstore
Adresse & Öffnungszeiten
Westbahnstrasse 16 , 1070 Wien
Montag – Samstag 12:00 – 18:00
Gründungsjahr?
2001
Was du hier findest
Vinyl, CDs, Tapes, Bücher, Poster, Shirts, 2nd Hand, … Stilistische Ausrichtung? Keine Specials? Versuchen für jede:n etwas zu haben , ob Pop / Rock, Noise, Techno, Electronica, Jazz,
Specials?
Versuchen für jede:n etwas zu haben , ob Pop / Rock, Noise, Techno, Electronica, Jazz
Hin und wieder In-Store-Konzerte
DAS MARKET

„Sorry für die Verspätung!” entschuldige ich mich, als wir das ein paar Meter vom Substance entfernte Market betreten. „Kein Problem, ich war selbst zu spät”, winkt Fritz Plöckinger ab. Ähnlich wie das Substance, gilt auch das Market als fixe Anlaufstelle für die lokale Szene, wenngleich der Fokus eher auf Clubsound liegt. Es ist ein slicker, durchgestylter Laden. Aber nicht zuviel Style, nicht zu hip das ganze, eher geschmackvoll, minimal, dezent. Man fühlt sich ein bisschen wie in einer Nobel-Boutique. Die Platten hier wirken auf seltsame Art wertvoll. Man spürt es: hier gibt es nur Erlesenes, Handgepflücktes, 1-A-Ware sozusagen. Vor allem House- und Techno-DJs kommen hier voll auf ihre Kosten. Zahlreiche DJs und Producer:innen der Stadt kommen regelmäßig auf einen Kaffee vorbei und lassen sich die neuesten Releases empfehlen. Nebenher kann man sich auch immer eine Geschichte abholen, denn Fritz ist einer der besten Storyteller der Szene. Ein wandelndes Anekdoten-Lexikon. Selbst als DJ aktiv, hat seine Karriere in den frühen 1990ern begonnen. Mittlerweile kennt er die halbe Stadt und die halbe Stadt kennt ihn.

Dass Fritz schon lange ein wichtiger Player in der Szene ist, merkt man ihm an. Die charmante Coolness, die er ausstrahlt, ist echt und mit der Zeit natürlich gewachsen. Geformt von Dutzenden durchfeierten Nächten und vom Zuspruch der Community. Und wenn im Club jemand vom „Fritz” spricht, ist klar, dass es um den Plöckinger Fritz geht. Er ist ein Godfather der Szene. Würde ich das laut sagen, würde er mich aber sicher auslachen. Und scheu ist er auch: „Du machst sicher kein Foto von mir!”, macht er Clara gleich zu Beginn klar. „Davon gibt es eh schon genug im Netz… Und von da hinten auch nicht, das ist privat!” Er zeigt auf einen Haufen leerer Kartons im Nebenraum. „Aber einen Hocker kannst du dir von da holen”, weist er mich an. Ich setze mich zu ihm an den Schreibtisch. Hier ist der volle Aschenbecher das center-piece, daneben liegen zwei Päckchen Marlboro rot, darunter eine zernudelte Ausgabe des Crack-Magazins. Ich zünde mir eine Zigarette an. Im Hintergrund läuft eine Ambient-Platte, Gepi scrollt in Ruhe durch die Neuerscheinungen. Eigentlich ganz angenehm hier, denke ich mir.

„Also begonnen hat es eigentlich mit dem Black Market”, setzt Plöckinger an. „Das war ein Laden im 1. Bezirk. Der wurde in den frühen 90ern gegründet. Leute wie Kruder&Dorfmeister sind da viel rumgehangen”. Er deutet auf die K&D Platte im Regal. Ich frage mich, ob das Duo eigentlich jemals cool war, verkneife mir aber die Frage laut zu stellen. „Und auch Leute wie Parov Stellar”. Ok, jetzt müssen wir beide lachen. Dass der schon immer uncool war, ist kein großes Geheimnis. „Ich hab lange im Black Market gearbeitet. Bis er pleite gegangen ist 2007. Da ist vieles schiefgelaufen.” Ein Jahr später öffnet er mit dem Market schließlich seinen eigenen Laden. „Früher gab’s noch den Dum Dum Plattenladen. Der war auch im 1. Bezirk. Da sind Djs wie Makossa groß geworden. Der ist jetzt Musikchef von FM4. Überhaupt haben ja viele Leute aus der Musikbranche, auch viele DJs ihre Karriere in Plattengeschäften begonnen,” konstatiert Fritz und steckt sich die nächste Zigarette an. „Dann gab’s noch den Virgin Megastore. Da hat man auch viel bekommen. Und natürlich gab’s das Rave up. Da hab ich eigentlich angefangen und auch Leute wie Peter Rehberg, Christian Schachinger, oder Hergo (Franz Hergovich) haben da gearbeitet. Wir wurden dann aber nach der Reihe rausgehaut.”

„Und was ist eigentlich so speziell an einem Plattenladen?”, möchte ich wissen. Warum macht er das eigentlich? „Es ist der einzige Ort, wo man über Musik reden kann. Das kannst du in einem Online-Store nicht. Das Suchen und Entdecken, darum geht’s. Das kann kein Algorithmus ersetzen.” Gepi, der sich mittlerweile zu uns gestellt hat, nickt zustimmend. Fritz kommt gerne ins Gespräch mit seinen Kund:innen. „Mich bewegt jede Platte hier”, antwortet er, als ich ihn nach seiner Selection frage. „Du findest viel elektronische Musik hier, aber das ist kein Grundsatz. Was es definitiv nicht gibt, ist Pop und Rock. Das gibt’s dafür im Substance.” Mittlerweile sind zwei Kund:innen reingekommen und jetzt läutet auch noch das Telefon. „Hallo? … Nein, haben wir nicht lagernd, könnte ich aber bestellen.” Als er auflegt, steht Clara vor ihm. „Kann ich sicher kein Foto von dir machen?”, bittet sie. Aber Fritz bleibt dabei. Ganz schön stur ist er. Einige Zeit später, packen wir uns zusammen und machen uns auf den Weg zur letzten Station für heute: den Teuchtler.

Das Market
Adresse & Öffnungszeiten
Zieglergasse 40/Ecke Westbahn Straße, 1070 Wien
Dienstag – Samstag 13/15:00 – 20:00
Gründungsjahr?
2008
Was du hier findest
99 % Vinyl, No 2nd hand
Stilistische Ausrichtung?
House/Techno/Electro/Disco/Bass/Ambient/Jazz/Experimental Specials curated by the owner
Teuchtler – Schallplattenhandlung & Antiquariat

Ein Laden, den bis jetzt alle als unverzichtbar eingestuft haben, ist der Teuchtler. Nachdem wir die Mariahilferstraße überquert haben, finden wir das Geschäft auch schon. „Schallplattenhandlung & Antiquariat” steht groß auf dem Straßenschild – „CD, Klassik, Pop, Jazz”. Liest sich erstmal relativ konventionell. Als traditionsreichster Second-Hand-Plattenladen ist Teuchtler seit eh und je Heimat für Sammler:innen und Musikbegeisterte. Seit ich denken kann, gibt es das Geschäft in der Windmühlgasse. Als wir kurz nach fünf den Laden betreten, wuselt es noch vor Leuten. Viele davon sind klar erkennbar Tourist:innen. Diesmal habe ich niemanden vorgewarnt, dass wir kommen. Tatsächlich sieht es aber so aus, als hätten wir Glück. Denn bei der älteren, weißhaarigen Dame hinter dem Tresen muss es sich um Elisabeth Teuchtler handeln. Clara und ich werfen uns einen sprechenden Blick zu: „Endlich mal eine Frau!”

„Dürften wir kurz stören?”, gehe ich auf sie zu, „wir schreiben einen Artikel über Plattengeschäfte in Wien. Hätten Sie vielleicht kurz Zeit, uns ein paar Fragen zu beantworten?” Elisabeth Teuchtler zeigt sich wenig überrascht. „Ja, natürlich”, lächelt sie, „Sie können mich fragen.” Sie wirkt wie die Ruhe in Person, das hektische Treiben hinter mir scheint sie nicht sonderlich zu kümmern. Wie ein Stein in der Brandung steht sie da zwischen sich Regalen, die zum Bersten mit Tonträgern gefüllt sind. Wie sie wohl noch den Überblick behält? Ich erkundige mich, nach der Gründungsgeschichte des Ladens. „Mein Mann hat 1948 mit seinem Vater das Geschäft gegründet”, erzählt Elisabeth Teuchtler und dass sich das Geschäft mittlerweile in dritter Generation im Familienbesitz befindet. „Der Enkelsohn steht da hinter der Kassa”, deutet sie uns. Jean-Marc Teuchtler merkt, dass wir über ihn sprechen. Er kommt kurz zu uns, wird aber gleich wieder von einem Kunden abgezogen.

Was das Erfolgsrezept des Familienbetriebs ist, möchte ich wissen. Wie konnte sich der Teuchtler so lange halten? „Immer freundlich sein”, entgegnet mir Elisabeth Teuchtler und lächelt dabei wissend. Sie selbst kommt ebenso wie ihr vor einigen Jahren verstorbener Ehemann, aus einer Handelsfamilie. „Aber auch der Film hat viel verändert,” ergänzt sie und zeigt auf ein Poster an der Wand. Mit „dem Film” ist „Before Sunrise” gemeint. Ethan Hawke und Julie Delpy spielen die Hauptrolle in der 90er Hollywood-Romanze. „Ich selbst war ja garnicht anwesend bei den Dreharbeiten”, meint Elisabeth Teuchtler. Ob sie wohl geahnt hat, welche Wellen der Film schlagen würde?

Es ist aber natürlich nicht nur Hollywood, das dem Laden zu Prominenz verholfen hat. Auch das Angebot ist speziell und es lassen sich noch richtige Schnäppchen machen. Stöbern lohnt sich. „Manche Stammkund:innen kommen wirklich jeden 2. Tag her,” erzählt Jean-Marc, der sich kurz freigespielt hat. „Haben Sie auch was von Hansi Hinterseer?”, ruft es da aus einer Ecke. „Wenn, dann hier”, antwortet ihm der junge Teuchtler und ist schon wieder weg. „Kommen Sie, ich zeige Ihnen was”, flüstert Elisabeth Teuchtler uns zu. Sie führt uns in ein kleines, bis obenhin mit Platten vollgestelltes Kämmerchen. Von ganz hinten zieht sie ein gerahmtes Foto hervor. Das vergilbte Bild zeigt ihren Mann und dessen Vater vor dem alten Geschäft in der Schottengasse. Es berührt mich, dass sie nach so vielen Jahren noch immer im Laden steht. Als wir uns verabschieden, steckt sie uns noch einen Zettel zu. Es ist ein Dankesbrief an das Geschäft. Direkt aus Hollywood. Auch Wien kann dankbar sein über seine Plattenläden-Betreiber:innen, denke ich, als wir wieder auf der Straße stehen. Denn jede einzelne Person, der wir heute begegnet sind, tut das was sie tut aus Liebe zur Sache. Nächste Woche geht’s dann weiter: auf der Liste stehen das Wienyl, der Sissy Shop, das Rave-Up und Apartment Acht.

Teuchtler – Schallplattenhandlung & Antiquariat
Adresse & Öffnungszeiten
Windmühlgasse 10, 1070 Wien
Montag – Freitag 13-18:00, Samstag 10-13:00
Gründungsjahr?
1948
Was du hier findest
Vinyl, CDs, Schellacks, Bücher, DVDs
Stilistische Ausrichtung?
Riesige Auswahl an Vinyl (LPs, Singles) aus allen Genres: Jazz, Klassik, Pop, Rock, Wienerlied, Soul, Funk, DnB, Techno etc.
Specials?
Schätzungsweise über 20.000 Schellacks

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