„Gegen die Vereinnahmung durch eine einzige Szene“ — Rosa Nebel im Interview

Ob Industrial- oder Proto-Techno, Black-Metal, Dark-Wave oder Post-Punk — Raphael Fürli ist ein musikalisches Chamäleon und zieht nomadisch durch die Genres. Mit seinem Solo-Projekt Rosa Nebel hat er sich einen Namen im Wiener Musikunderground gemacht. In den letzten Jahren ist er nun vermehrt in Band-Formationen zu erleben. Energetisch, roh, direkt und abgründig sind alle seine musikalischen Outputs. Dass er sich dagegen wehrt einer bestimmten Szene anzugehören, wie wichtig ihm soziale Formen des Musik-machens sind und welche Rolle DIY dabei spielt, erklärt der Musiker im Gespräch mit Shilla Strelka.
16.03.2022
Interview: Shilla Strelka, Fotos: Philippe Gerlach

Du bist im oberösterreichischen Kremsmünster aufgewachsen. Hat Musik für dich schon früh eine Rolle gespielt, um dem Alltag der Kleinstadt zu entfliehen?

Meine Kindheit war nicht sonderlich von Musik geprägt. Durch meinen Vater bin ich aber schon früh in Kontakt mit The Cure, Pink Floyd, Nazareth und auch mit elektronischer Musik gekommen. Durch meinen älteren Bruder wuchs dann die Liebe zur härteren Musik. Sehr schnell wurde Black Metal zum wichtigsten Musikgenre für mich und auch zu einem Lifestyle. Mit Lederjacke, Stiefel und Bandshirts durch Kremsmünster zu laufen, war für uns ein Statement [lacht].

Habt ihr auch selbst Musik gemacht?

Mein Bruder und ich gründeten 2006 gemeinsam mit einem Freund unsere erste Black Metal Band Zores. Wir besuchten viele Shows und Konzerte, fuhren in andere Bundesländer. Schon bald war neben Metal auch die Freetekno-Szene in Tschechien interessant.

Die ersten Versuche eigene Musik zu produzieren kamen sehr bald. Ich bin ohne Interface mit der Gitarre, den Field Recordings und dem Mikro direkt in den Laptop gefahren. Anfangs war das Ergebnis noch atmosphärisch und experimentell, später dann Tekno. Mit 18 habe ich mir dann meine erste Groovebox von Korg gekauft, die Electribe und damit auch live auf Parties gespielt.

Und seit wann gibt es Rosa Nebel?

Rosa Nebel wurde Jahre später spontan ins Leben gerufen. Mike vom Transformer hat mich gefragt, ob ich nicht ein Impro-Set spielen möchte. Ich glaube das war 2014.

„Im Nachhinein bewundere ich unsere Ausdauer.“

In Kremsmünster hast du einige Jahre Konzerte organisiert und das MuKuKu Sommerfest veranstaltet. Wie wichtig war die Sozialisierung dort und was hast du mitgenommen für dich als Musiker und Mensch?

Die Zeit und Arbeit im MuKuKu war für mich ein wichtiger Abschnitt, der nur mit viel Idealismus möglich war. Als kleines Kollektiv haben wir ohne Fördergelder oder sonstige Unterstützung mehr als fünf Jahre lang fast monatlich ein bis zwei Shows auf DIY Basis organisiert. Das heißt wir haben Bands gehostet, gekocht, geputzt, uns um den Sound gekümmert, etc.

Diese Zeit war sicher prägend für viele von uns — ob für das Kollektiv oder für die Besucher:innen. Der soziale Aspekt hat eine wichtige Rolle gespielt und wir haben innerhalb dieser Zeit eine Community aufgebaut und geprägt, aus der in den Folgejahren — und bis heute — neue Vereine und Kollektive entstanden sind. Im Nachhinein bewundere ich unsere Ausdauer.

Auf persönlicher Ebene habe ich viele Kontakte gesammelt und Freundschaften geknüpft, die mir auch heute noch sehr wichtig sind. Man kann sagen, dass der soziale Aspekt in der Musik, die gegenseitige Wertschätzung und der Support die Hauptmotivation sind, Musik zu machen.

Ein anderer Aspekt, den ich aus dieser Zeit mitgenommen habe, ist, dass sich unser Programm und unser Publikum sehr heterogen gestaltet haben. Es war ein bunter Haufen und auch ein Auffangbecken. Vor allem am Land hat das MuKuKu einen Ort geboten, um zu flüchten.

„Das ist natürlich Selbstausbeutung — ein wichtiger und schwieriger Bestandteil des DIY“

Was hat sich seitdem für dich verändert?  Der DIY-Approach findet sich ja nach wie vor in deinen Projekten.

Obwohl sich mein Fokus verlagert hat und nicht mehr so stark auf DIY gerichtet ist, ist es mir bis heute wichtig die Grundidee davon beizubehalten. Dabei geht es mir v.a. um einen gewissen Umgang zwischen den Menschen — dass man sich unabhängig von Gagen, Deals und Labels unterstützt.

Gemeinsam mit Dominik Pilnáček organisiere ich seit 2019 wieder Shows als URBAN LURK und versuche hier diesen Spielraum zu nutzen. Seit 2021 gibt es Urban Lurk auch als Tape Label. Die Releases dubben wir meistens zuhause auf drei Kassettendecks und stellen sie oft gemeinsam mit der Band fertig. Das Veranstalten und das Label sind für uns reine Liebhaberei — alles wird nebenbei und abhängig von unseren Ressourcen gemacht. Es gibt keinen Druck, keine Förderungen, keine Deals. Das ist natürlich Selbstausbeutung — ein wichtiger und schwieriger Bestandteil des DIY.

Mit Dominik spielst du auch im Black-Metal-Duo Parasite Dreams. Wie habt ihr euch kennengelernt?

Dominik ist aus Prag nach Wien gezogen und hat mich 2017 wegen einem DICHOTOM-Tape angeschrieben, das war ein altes Bandprojekt von mir. Wir haben uns anschließend auf Konzerten getroffen und sind gute Freunde geworden. Nachdem wir in London auf einem Black Metal Konzert waren, haben wir PARASITE DREAMS gegründet. Es ist aus einer ganz bestimmten Energie und Motivation heraus entstanden, mit der wir uns bis heute gegenseitig anstecken.

Wie selbstverständlich kommen solche Kollaborationen zu Stande?

Solche Kollaborationen kommen für mich nicht selbstverständlich zustande, da gehört viel gegenseitiges aufeinander achten und klare Kommunikation dazu. Ich habe meistens genaue Vorstellungen davon, in welche Richtung es gehen soll bzw. welche Stimmungen und Gefühle beim Musik-Machen entstehen sollen. Wenn das nicht mit der Person gegenüber zusammenpasst, wird es ein schwieriger Prozess. Auf das kann ich mich manchmal einlassen und manchmal bin ich froh, wenn es harmoniert. Mit Dominik harmoniert es!

Ähnlich zu harmonieren scheint es auch mit Jannis Meindlhumer, mit dem du im Duo GATES OF LONDRA und in PHANTOM GOLD aktiv bist. 

Ja, mit Jannis bin ich schon länger befreundet. Er war für mich musikalisch immer sehr inspirierend. Seine Kreativität und die damit verbundene Getriebenheit Musik zu machen sind bemerkenswert — sein Output ist unglaublich vielfältig. Neben seinen Bands KRINGA, BRÅND und EISENHAND, ist er vor allem auch solo mit CONCORDE und HERRGOTTSBLICK fester Bestandteil des musikalischen Undergrounds. Phantom Gold ist aus diesem gegenseitigen Interesse an Musik entstanden und war für uns beide spannend, neu und herausfordernd. 

Ihr wart letztes Jahr auch am Donaufestival zu sehen. Wie seid ihr da vorgegangen?

Wir haben ausschließlich analoge Hardware verwendet und versucht konzeptuell zu arbeiten. Uns war es wichtig, dass es einen inhaltlichen Rahmen gib. Das Set ist gegliedert in thematische Abschnitte. Dabei geht es zunächst um die Dichotomien Natur/Zivilisation, Religion/Wissenschaft, Krieg/Frieden. Im letzten Abschnitt wurde versucht musikalisch einen möglichen unbekannten, aufgehobenen Zustand in der Zukunft umzusetzen. Das „Phantom Gold“ kommt hier als verbindendes Element ins Spiel. Im ersten Abschnitt des Sets in materialisierter Form, als eine allmächtige Gottfigur auf der Erde, im Dialog sowie Konflikt mit den Menschen, aber auch als steuerndes, unsichtbares Unbekanntes, als Traum, Gespenst und Trugbild der Menschen.

Das klingt sehr konzeptuell. Was inspiriert dich beim Musikmachen?

Die Motivation Musik zu machen entspringt bei mir stark dem Lesen. In Büchern finde ich oft den inhaltlichen Rahmen und die richtige Stimmung. Bücher, die in dem Zusammenhang nennenswert wären, sind „The Jungle“ von Upton Sinclair („Morbid Self-Attention“), „Maschinenwinter“ von Dietmar Dath („Die Konsequenz ist logisch“), „History of the Runestaff“ („Gates of Londra“) von Moorcock und vieles mehr.

„Für mich soll Musik auch Ambivalenzen offenlegen, die rational nicht zu begreifen sind.“

Mit Rosa Nebel bist du am ehesten im Industrial-Techno und Dark-Wave beheimatet, mit Parasite Dreams und Gates of Londra im Black Metal. Daneben bist du noch im Duo PEACE VAULTS mit Ana Threat aktiv und spielst schon seit einiger Zeit in der Noise-Punk Band PITVA Drums. Findest du Parallelen zwischen den Szenen?

Szenen und das sich-zugehörig-fühlen zu einer Szene waren immer schwierig für mich, obwohl ich als Jugendlicher fast ausschließlich auf Metal-Shows gegangen bin. Mich hat es immer gestört, dass alles ästhetisch klar zugeordnet sein soll, weil daraus oft sinnlose Regeln entstehen. Ich habe es immer schon interessant gefunden, wenn Musiker:innen neben ihrer Metal Band noch andere spannende Projekte hatten, elektronische Musik machten oder wenn auf den ersten Blick gegensätzliche Einflüsse in einer Band zusammenkommen.

Ich mag es, wenn sich Leute öffnen und Parallelen, die es meiner Meinung nach zwischen den Szenen gibt, erkennen. Ich mag es, wenn Musik und Kunst Widersprüche erzeugen, schwierig und nicht leicht zugänglich sind. Da passiert natürlich viel auf der Gefühlsebene, es geht um die Atmosphäre, die die Musik erzeugt und die sich wie ein roter Faden durch alle möglichen Musikrichtungen und Bands ziehen kann. Für mich soll Musik auch Ambivalenzen offenlegen, die rational nicht zu begreifen sind. Dann kommt es nicht mehr darauf an, ob eine Black Metal Band spielt, ein Techno-Act oder eine Post Punk Formation. Ich stelle mich gegen die Vereinnahmung durch eine einzige Szene.

Geht es nicht in all deinen Formationen auch um Widerständigkeit? 

Es geht sicherlich um Widerständigkeit, ja! Ein Dagegenhalten aber eben auch um eine kritische Auseinandersetzung mit den oben erwähnten persönlichen Ambivalenzen sowie ein Offenlegen gesellschaftlicher Umstände und Normen: teils kompromiss- und trostlos, teils kämpferisch, teils fiktiv und fantastisch und teils an persönliche Lebensumstände geknüpft. Musik und Kunst soll meiner Meinung nach dieses Spektrum an Bedürfnissen – von reaktionär bis progressiv – abdecken und eine kritische Auseinandersetzung damit zulassen. Ein moralisierendes gut/böse oder politisch/unpolitisch möchte ich dabei bestmöglich raushalten. Das ist vielleicht die Widerständigkeit, die sich durch alle Formationen zieht.

Rosa Nebel lebt zum größten Teil von Spontanität.“

Ich habe das Gefühl, dass mit Rosa Nebel ähnliche Energien freigesetzt werden wie in den anderen Formationen, auch wenn du hier die Sounds mit elektronischen Geräten erzeugst. Auch diese Tracks sind roh und impulsiv und leben von ihrer Ungeschliffenheit und Direktheit. Sie sind auch nicht klar einem einzigen Genre zuzuordnen. Welches Verhältnis hast du zu deinen Maschinen? Wie lang schraubst du, bist du zu einem bestimmten Sound kommst?

ROSA NEBEL lebt zum größten Teil von Spontanität. Wenn eine Idee oder Motivation zum Musik machen da ist, muss das oft schnell gehen — ich muss diese Energie nutzen. Da ist es dann wieder von Vorteil, wenn die Hardware zuhause rumsteht und das Recording im Zimmer passieren kann.

Rosa Nebel und die Musik dahinter sind etwas total Persönliches für mich — es geht mir hauptsächlich darum, dass ich mit den Sounds zufrieden bin. Ich will mit dem Projekt machen können, auf was ich gerade musikalisch Lust habe. Ich würde sagen, dass die angesprochene Ungeschliffenheit, die Direktheit und das Nicht-klar-einordnen-Können ein Resultat davon sind. Meine Frustrationsgrenze ist schnell erreicht, vor allem wenn ich merke, dass ich mich zu lange mit Kleinigkeiten beschäftige oder der Output nicht so wird, wie ich mir das vorgestellt habe.

Ich recorde alles live und nehme in der Regel die erste Aufnahme. Manchmal hilft mir auch Kevin (ADAM SKULL, TRANSKI) beim Mixing, um die letzten Feinheiten rauszuholen. Ich selbst arbeite beim Musik machen kaum mit dem PC. Das schränkt mich klangtechnisch zwar ein, aber mein Anspruch ist ein anderer.

Wie ist der Solo-Arbeitsprozess im Vergleich zu den Bandprojekten? 

Als Rosa Nebel experimentiere ich mehr, obwohl ich mir manchmal schwer damit tue aus der strukturierten Vorgehensweise und dem Song-Writing Prozess, der im Proberaum mit Bands wichtig ist, auszubrechen.

Rosa Nebel hat experimenteller begonnen. Ich habe improvisiert und hatte mehr Geduld dafür. Ich versuche wieder mehr in diese Richtung zu gehen, da sich ein bestimmter Arbeitsprozess und Workflow eingeschlichen hat, der mich manchmal frustriert. Aktuell arbeite ich mit verschiedenen Instrumenten, wie E-Gitarre und E-Bass und das Sampling ist auch ein wichtiger Bestandteil für meine Musik geworden. Der Workflow ist stark abhängig von der verwendeten Hardware. Wenn ich die Synths wechsle, oder andere Instrumente zum Einsatz kommen, entsteht wieder eine neue Dynamik, die mich motiviert.

Die letzten Jahre habe ich immer wieder Remixe, auch für befreundete Musiker:innen aufgenommen. In diesem Rahmen schaffe ich es immer wieder neue Dynamiken beim Musikmachen zu erzeugen und Raum für das Experimentieren zu schaffen.

Wie ist es im Gegensatz dazu an den Drums zu sitzen?

Das Schlagzeugspielen bei Pitva und vor allem bei Parasite Dreams ist für mich ein komplett anderes Ding. Zum einen erzeugt das gemeinsame Musizieren und Songs schreiben weniger Druck, man ist nicht für alles selbst verantwortlich. Das ist ein wichtiger Punkt für mich, wenn ich in einer Band spiele: Sich zurückhalten, Prozesse gemeinsam gestalten, Arbeitsschritte aufteilen, usw. Das hat etwas Demokratisches und ist wichtig, um diverse Verhaltensmuster und Gefühle zu reflektieren. Zum anderen bin ich auch viel gelassener auf der Bühne und bei den Proben. Man hat ein Instrument, um das man sich kümmern muss. Bei Rosa Nebel ist der Druck gut zu sein und alles richtig zu machen präsenter.

„Musik zu machen war für mich (…) immer ein soziales Ding“

Ich kenne wenige Musiker:innen, die so viele kollaborative Projekte haben und parallel noch ihr Solo-Ding durchziehen. Was ziehst du aus dem gemeinschaftlichen Musik machen? 

Sein „eigener Chef“ zu sein — wenn ich das mal in so neoliberalen Jargon sagen soll — ist verlockend. Man kann jedes Gelingen, aber auch jedes Misslingen mit sich selbst ausmachen. Man kann sich um alles selber kümmern und niemand redet einem drein. Es ist auch praktisch, alleine zuhause oder im Studio zu arbeiten, nach Lust und Laune.

Musik zu machen war für mich aber immer ein soziales Ding, so bin auch groß geworden. Ich habe ab 15 gemeinsam mit meinem Nachbar und guten Freund E-Gitarre gespielt. Dann kam die erste Band im Keller meiner Eltern. Parallel dazu habe ich bereits Dinge alleine ausprobiert und eigenes Zeug aufgenommen. Mit Rosa Nebel hat sich das natürlich verstärkt und ich habe ein paar Jahre fast nur alleine produziert. Das Bedürfnis in einer Band zu spielen war zwar immer da, aber der Fokus ist auf meinen Synthesizern und dem Drum Computer gelegen. Ich würde sagen, dass sich das erst die letzten drei Jahre wieder verlagert hat. Ich habe mehrere Bandprojekte und habe auch mehr das Bedürfnis aus diesem Solo-Safe-Space auszubrechen und befreundete Musiker:innen in meine Prozesse einzubinden. Das sich-gegenseitig-unterstützen ist beim Musikmachen ein sehr wichtiger Teil für mich geworden.

Deine Releases sind bislang auf Tape und digital erschienen. Wie ist dein Bezug zum Medium Tape? Da kommt ja auch einiges an Kontext mit, wenn man sich die Cassette Culture und deren Entwicklung ansieht.

Tape als Medium finde ich spannend. Zum einen hat man einen geringen Kostenaufwand und kann trotzdem physisch releasen, zum anderen gefällt mir das Format und die Idee dahinter: es selbst zu bespielen, zu überspielen, alte Tapes wiederzuverwenden, Tapes zu tauschen, die Idee der Mixtapes und Compilation-Tapes.

Die Cassette Culture steht in direktem Bezug zur DIY Culture. Welche Haltung kommt da für dich mit?

Ich finde es schön zu sehen, dass dieser Spirit viele Anhänger:innen und motivierte Leute findet. Man unterstützt sich und es gibt, unabhängig davon, ob man sich gut kennt oder nicht, eine Wertschätzung für das was man tut. In Wien und Linz, aber auch beispielsweise in Tschechien gibt es eine Vielzahl von Labels, Einzelpersonen oder Gruppen, die diese wichtige Arbeit vorantreiben — Tapes releasen, Shows veranstalten: z.B. STEEL CITY SORCERY, FÖDWEG, TENDER MATTER, GENERATION NOIR, TWO TOWERS TAPES, SERPENT’S MOUTH.

„Der Tape Underground als Zufluchtsort“

Das heißt es gibt den Tape Underground, der v.a. in den 80ern stark war nach wie vor?

Ja, einen Tape Underground gibt es definitiv. Ich nehme diesen in den letzten Jahren auch stark wahr. Da wird getauscht, gedubbt und verschenkt. Natürlich wird auch verkauft, dabei geht es aber hauptsächlich darum, die Produktionskosten wieder reinzubekommen. Es weckt nostalgische Gefühle, es hat etwas Verbindendes und Gemeinschaftliches, meist ohne kommerziellen Hintergedanken. Das hat heutzutage, wo jeder Lebensbereich vom Kapitalismus und den damit verbundenen Verhaltensmustern beeinflusst ist, etwas Romantisches — der Tape Underground als Zufluchtsort [lacht].

Kannst du dir vorstellen, ausschließlich von Musik zu leben? 

Nein, ehrlich gesagt nicht. Ich kann zwar auch nicht behaupten, dass ich froh über meine alltägliche Lohnarbeit bin, aber ich muss mir keine Gedanken machen, monatlich über die Runden zu kommen. Das nimmt Stress! Ich versuche so gut wie möglich, mir Zeit für Musik und andere Dinge zu nehmen. Das Musik machen ist für mich reine Bedürfnisbefriedigung — Leidenschaft, die für mich freiwillig und ohne ökonomischen Druck passieren muss.

Ich bin dennoch nicht gefeit vor Selbstzweifel, Selbstoptimierung, Konkurrenzdenken, Zeitdruck, dem „Produktiv-sein-müssen“ – den Auswirkungen des Neoliberalismus auf unser Verhalten und unsere Psyche. Diese Gefühle abzubauen und zu erkennen ist ein Ziel von mir. Ich merke auch, dass das besser gelingt, wenn man seinen privaten Safe Space ab und zu verlässt und sich auf andere Menschen einlässt, gemeinsam Musik macht, sich supportet und die guten Gefühle beim Musizieren teilt und über die weniger angenehmen spricht. Da bin ich sehr froh über meine Freund:innen, die ich teilweise schon Jahrzehnte kenne und mit denen ich gemeinsam Musik machen kann, ohne Angst haben zu müssen, von Konkurrenzdruck oder Selbstzweifel eingenommen zu werden.

(c) Alex Schiller

Rosa Nebel