„Es ist so eine sonderbare Form der Kommunikation“ – Paul Ebhart im Interview

Der Musiker, DJ und Künstler Paul Ebhart hat gerade seine erste EP „Thesosung“ veröffentlicht. Auf dem als Mini-CD erschienenen Release finden sich flüchtige Nummern, die von Minimal und Kosmische ebenso beeinflusst sind wie von improvisatorischer Spontanität. Im Gespräch mit Shilla Strelka erklärt er, wie wichtig es ist, sich stets von Neuem zu erfinden, dass es in der Musik um Haltung geht, welche Offenbarung kollaboratives Arbeiten mit sich bringt und warum das Spannungsverhältnis zwischen Expertise und Dilettantismus inspirierend sein kann.
30.03.2022
Interview: Shilla Strelka, Fotos: Philippe Gerlach

Hat Musik schon früh eine Rolle gespielt für dich? Was waren die ersten musikalischen Einflüsse, an die du dich erinnerst?

Ja, ich würde sagen Musik hat mich von klein auf begeistert. Ich komme eigentlich aus einer sehr musikalischen Familie, im klassischen Sinne. Meine Großeltern mütterlicherseits singen im Chor. Meine Tanten und Onkel haben ein Instrument gelernt, ein paar sind hauptberuflich Musikerinnen. Ich bin auf jeden Fall mit “falschen” und “richtigen” Tönen aufgewachsen, habe aber selbst nie in der klassischen Musiktradition ein Instrument gelernt.

Die ersten alternativeren musikalischen Einflüsse kamen aus dem Hip Hop. Ich habe ein paar Jahre einen Hip Hop Tanzkurz besucht und meinen Zugang zur Musik eher über das Tanzen und über Styles gefunden, als über das tatsächliche Musizieren. In dem Kurs kam ich zum ersten Mal in Kontakt mit meinen frühen musikalischen Idolen wie Timbaland, Busta Rhymes und Missy Elliot, die in mir ein Verlangen danach geweckt haben, aktiv nach Musik zu suchen. Ich war total begeistert davon. Beats haben für mich so viel ausgesagt — ich habe schnell gemerkt, warum mir der eine Beat gefällt und der andere nicht.

„Den Menschen in Zustände versetzen“

Du hast schon früh begonnen Musik zu sammeln und in alle Richtungen zu hören. Woher kommt diese Neugierde? Hast du eine Erklärung dafür?

Musik war immer extrem präsent in meinem Leben. Ich glaube, in erster Linie habe ich so eine Faszination für Musik, weil ich schon relativ früh gemerkt habe, dass es etwas ist, das den Menschen in Zustände versetzen kann, so wie vieles andere nicht. Diese Erkenntnis hat mich sehr begeistert. Irgendwann habe ich dann damit begonnen, Musik zu sammeln. 

Ich kenne nicht viele, die sich für Elektro-Akustik genauso begeistern können wie für Techno, für Kosmische und Minimal genauso wie für House. Warum ist es dir wichtig, Genres außer Acht zu lassen – oder anders: warum fühlt es sich so selbstverständlich für dich an, die unterschiedlichste Musik zu hören? Was ist es, das die Sounds eint? Was ist gute Musik?

Für mich hängt Musik, die mir gefällt total von der Attitüde, der Haltung ab. Ich glaube, das ist das Bindeglied zwischen den Genres. Die Frage, warum ich mich für einen bestimmten Sound entscheide, warum für einen anderen nicht, warum ich genau zu diesem Gerät greife oder diese bestimmten Vocals einsetze — da steckt schon wahnsinnig viel drinnen. Das sind alles Entscheidungen, die für mich auch schon politisch sind. Ich finde Musik ist — ohne plakativ politisch zu sein — einfach sehr politisch. Ich kann in einem Hip Hop Track dieselben Vibes, oder denselben Style wiedererkennen, wie z.B. in einer Krautrock-Nummer oder in einem House-Track. Das Verbindende sind Momente, die etwas Transzendentales teilen. Es ist mehr als das, was sich über musikalische Parameter definieren lässt.

„Diese Erwartungshaltung an eine eigene künstlerische Identität“

Wenn du so viel Musik aufsaugst, wie findest du dann zu deiner eigenen Stimme? Wird das nicht schwieriger, vielleicht auch weil du perfektionistischer wirst?

Ja, das ist natürlich gar nicht so einfach. Ich denke, dass wir sowieso das Ergebnis unserer Umgebung und unserer Erfahrungen sind. Insofern ist auch die Erwartungshaltung an so eine eigene künstlerische Identität eine ziemlich große. Allerdings halte ich wenig vom Narrativ des Genies.

Ich glaube, dass die Suche nach der eigenen Stimme eine endlose ist, aber man vielleicht einfach aufhören sollte danach zu suchen, sondern all diese Fragen als Teil des großen Ganzen sehen. Musik gibt mir die Möglichkeit mich auszudrücken, wie ich es auf keinem anderen Weg schaffe. Musik ist ein Ventil von vielen. Jede und jeder hat eine eigene Stimme. Das kann auch inspiriert sein von den Dingen, die man kennt. Am Ende des Tages ist das Ergebnis immer eine Mischung aus vielen Einflüssen.

Der Pressetext sagt: „with expertise and amateurism in a constant tension ratio.“ Ich frage mich, wie ahnungslos und naiv muss man bleiben, um zu sich selbst zu finden? Inwiefern muss man sich vom eigenen Geschmack befreien? Inwiefern kommt ihm eine wichtige Rolle zu?

Für mich ist Ahnungslosigkeit bzw. Dilettantismus eine tolle Methode, um auf Dinge zu stoßen, die ich davor nie in Betracht gezogen hätte. Gleichzeitig glaube ich auch, dass es etwas total Pures ist: es befreit einen aus der Gefangenschaft von festgefahrenen Routinen. Die Art wie ich Musik mache, hat sich im Laufe der Zeit immer wieder total verändert — auch aus Neugierde, um zu sehen, was es für Möglichkeiten gibt. 

Manchmal setze ich mich ins Studio und merke, dass ich gerade viel zu sehr reproduziere. Das sind die Momente, die ich versuche zu durchbrechen. Das Release hat für mich ein total neues Feld aufgemacht. Ich habe so eine Musik davor noch nie in der Form gemacht. Und das ist genau das, was ich persönlich so spannend daran fand — sich quasi selbst zu überraschen. 

Wie sind die Stücke auf der EP „Thesosung“ entstanden? Wurde viel improvisiert, bevor du zu diesen prägnanteren Nummern gekommen bist?

Die ersten beiden Nummern sind total ungeplant entstanden. Meine Mitbewohnerin und gute Freundin Sophia Stemshorn und ich haben schon länger darüber geredet mal so spaßhalber was auszuprobieren. Einen Abend während des Lockdowns habe ich dann ein Mikro aufgestellt und wir haben einfach aufgenommen. Ohne Ziel. Ich war total inspiriert von Sophias Geigenspiel. Meine Faszination für akustische Instrumente ist, glaube ich, eine nie enden wollende. Das Klangmaterial der Aufnahmen war einfach so reich und schön, dass ich daraus viel gesampelt, verfremdet, prozessiert habe und es war dann relativ schnell etwas da, wo ich gesagt habe: okay das hört sich gut an, daran möchte ich weiterarbeiten.

Die anderen zwei Nummern sind im Sommer 2021 im Zuge der Vorbereitung für einen Live Gig entstanden. Sie folgen einer ähnlichen Klangästhetik, weil beide zeitnahe und am gleichen Synthesizer enstanden sind. Es sind also zwei Paare von Tracks, die sich durch ihren Entstehungszeitraum und meine damalige Gefühlslage verbinden lassen. 

In all deinen Produktionen scheint der Umgang mit Zeit eine besondere Rolle zuzukommen. Die Sounds verflüssigen sich, Dauern werden relativ. Es könnte an manchen Stellen ewig so weitergehen. Wie nimmst du das wahr?

Ja, das finde ich eine schöne Beschreibung. Ich denke, das ist auch der Struktur geschuldet. Das ganze Release ist im Grunde Loop-Musik. Es baut alles auf diversen Loops auf. Die sind vielleicht nicht so offensichtlich wie bei Techno oder House, aber sie sind dennoch da. Der Loop ist für mich ein fundamentales Element. Auch deswegen, weil es genau darum geht sich darin zu verlieren und die Zeit dadurch anders wahrzunehmen. Der Loop als Mittel, um im Sound davonzuschwimmen. Da gibt es natürlich auch einen starken Bezug zur Minimal Music. 

Im Minimal geht es in gewisser Weise ja auch um die Erfahrung einer anderen Realität. Es löst einen bestimmten Zustand beim Hören aus. Trance spielt eine große Rolle, Psychedelik. Welche Faszination löst Minimal bei dir aus? 

Ich würde meine Musik auch gar nicht der Minimal Musik zuordnen, aber die Punkte, die mich daran interessieren, versuche ich auf meine Art in das zu verweben, was ich tue. Der Wunsch, dass die Musik einem zur Trance verhilft, oder in andere Realitäten begleitet. Das “Wegdriften” als Erfahrung, was ja wiederum im musikalischen Sinne als Methode in der Minimal Music verankert ist – kleine tonale “drifts”, minimale Veränderung. Ich verwende Loops, die pulsieren und sich bewegen. Das ist mein Tool, um das zu erreichen. Es ist auch das, worauf ich persönlich stark reagiere. Drumherum passieren die Dinge. Es ist nicht eins zu eins vergleichbar mit der Definition von Minimal Music, aber viele Ideen und Gedanken wurzeln daraus. Für mich ist Minimal Music auch wiederum mehr eine Attitüde als ein klar definiertes Genre.

„Wie findet man sich selbst in der Musik?“

Deine Musik etwas sehr Intimes, Subjektives, Persönliches. Sie nimmt mich in ihr eigenes Universum mit. Spielen Narrative eine Rolle? Hast du Geschichten im Kopf? 

Ja, gerade dieses Release folgt in meinem Kopf einem sehr persönlichen Narrativ. Die Titel sollen diesbezüglich auch etwas verraten. Grob gesagt geht es mir um das, was ich vorher angesprochen habe: Wie findet man sich selbst in der Musik? Wie löst man sich darin auf, wie löst man sich von der Reproduktion im Tun selbst? Es geht ganz viel ums neu erfinden und neu entdecken und auch um das Loslassen-können und sich von Strukturen befreien, die einen sonst einschränken. 

Ich merke das oft selbst: ich sitze vor meinen Geräten, bin am Musik machen und greife auf Dinge zurück, die ich schon weiß. Und das ist schon gut so, aber ich merke — und da komme ich auch wieder auf diese Naivität zurück — dass es für mich immer der spannendste Moment ist, wenn ich etwas zum ersten Mal berühre und zum ersten Mal forme. Weil ich noch nicht genau weiß, wo es hingeht. Und diese Neugierde ist etwas, das mich wahnsinnig begeistert und inspiriert. Das neu erfinden ist so ein ganz wichtiger Punkt. Ich habe z.B. zum ersten Mal eine Geige aufgenommen und damit gearbeitet und ich hatte nie vor mit Geige zu arbeiten. Das kam aus einer spontanen Entscheidung heraus und hat sich so ergeben, mit so einer Leichtigkeit. Ich finde Musik ist nicht etwas, das man planen kann, Musik passiert einfach. Das ist der Approach, den ich schön finde und mit dem ich sehr viel anfangen kann. 

Interessieren dich bestimmte Klangqualitäten?

Absolut. Ich würde schon sagen, dass ich eine spezielle Vorliebe für Analog-Equipment habe. Einerseits verwende ich Studiogeräte aus den 70er 80ern, weil mir deren Lebendigkeit und Eigenleben total gefällt, gleichzeitig arbeite ich mit Ableton und auch aktuellen Plugins. Für mich ist es wichtig beides miteinzubeziehen. Ich halte nichts von Vintage only. Gerade im Soundprocessing gibt es so viel inspirierende und tolle digitale Möglichkeiten, die durch die neue Technik möglich wird. 

Welche Rolle spielt der Ort, an dem Sound produziert wird? Welche Rolle spielt der Raum?

Für mich ist das Musik machen stark an einen physischen Raum gebunden. Der schwingt auch mit in der Musik, die dabei entsteht. Ich kann dem Gedanken des Studios als lebendigem Organismus viel abgewinnen. Ich denke da an Maryanne Amacher, für die das Musik machen immer in Bezug zu Räumen – sowohl fiktiven als auch realen – stand. Oder an Can, die den umgebenden Raum oft in ihre Aufnahmen miteinbezogen haben. Ich finde das schön, weil sie klanglich auf ihre Umgebung reflektieren.  Man hört auch auf der EP Aufnahmen, die unmittelbar in einem meiner Studios entstanden sind. 

In unserem Studio am Land entsteht dagegen total andere Musik als in Wien. Das hört man vielleicht als außenstehende Person nicht, uns fällt es aber total auf. 

„Das ist wirklich die komplette Offenbarung.“

Wie wichtig sind Kollaborationen für dich?  

Ich genieße es generell sehr Musik mit anderen Menschen gemeinsam zu machen. Es ist so eine sonderbare Form der Kommunikation, wo so viel gesagt werden kann.  Es erfordert auch sich verwundbar zu machen und die Karten auf den Tisch zu legen. Ich denke im Musik machen wird gesellschaftlich so viel abgehandelt — in abstrakter Form — und ich persönlich lerne total viel dabei und bekomme oft auch den Spiegel vorgehalten. Da geht es ganz viel um power dynamics, ums Zuhören, ums Verstehen…

Wobei ich hier auch unterscheiden möchte zwischen Improvisation und — ich nenne es jetzt mal — “Montage” Musik. Improvisieren ist das Ehrlichste überhaupt. Das ist wirklich die komplette Offenbarung. Und es kann unglaublich schön sein. Musik aufzunehmen und zu basteln ist für mich ein etwas anderer Prozess, viel verkopfter und auch für mich besser allein praktizierbar.

Du bist auch in der Improformation GROSS MODULE aktiv. Da ist der Sound etwas krautiger, ätherisch, auch eigenwillig. Wer gehört da dazu? Wie habt ihr euch gefunden?

Beim ersten Konzert waren es Leonard Prochazka, Simon Heidemann Christopher Schulz und ich. Wir kennen uns alle schon relativ lange und haben uns eigentlich über die Musik kennengelernt. Aber die Idee von Gross Module war eine Art Ventil zu schaffen für etwas, das von Anfang an nicht klar formuliert werden soll. Es gibt keine fixen Mitglieder, keine klaren Strukturen. Der Fokus liegt darauf, gemeinsam zu spielen und zu experimentieren. Das Projekt nimmt hoffentlich bald wieder Fahrt auf und es gibt auch Zukunftspläne. Interessent:innen meldet euch! 

Dann gibt es noch die Formation TAURUS. Bist du da noch aktiv?

Ja, Taurus gibt es noch. Wir sind gerade dabei ein Release zu planen.

Du hast an der ELAK studiert und studierst derzeit an der Angewandten TransArts. Deine Sounds leben vom Authentischen deiner Stimme. Hast du Angst dir das mit einem Studium zu zerstören?  

Das ist eine gute Frage und auch etwas, das mich beim Studium auf der ELAK total beschäftigt hat. Es ist genau das schon angesprochene Spannungsfeld zwischen Expertise und Amateur sein. Ich glaube letztendlich hat mich dieses Spannungsverhältnis des Lernens und wieder Verneinens total geprägt in meinem Studium. Ich glaube, dass die Authentizität auf jeden Fall dieses Spannungsverhältnis durchlaufen hat. Und ich habe auch zwei Jahre nach der ELAK gebraucht, bevor ich solo etwas herausgebracht habe. Es hat schon seine Spuren hinterlassen, im positiven Sinne! Die ELAK war eine tolle Ausbildung und ich habe sehr viel mitgenommen. Letztendlich habe ich es geschafft, für mich persönlich Grenzen zu ziehen und mir auch die Möglichkeit gegeben, nicht genau zu wissen, wie etwas funktioniert. Das ist auch der Grund, warum ich immer wieder zögere, ein Instrument zu lernen. Auf der einen Seite würde ich wahnsinnig gerne, auf der anderen Seite weiß ich, dass ich dann die Keyboard-Tastatur nicht mehr so angreifen würde, wie ich das jetzt tue.  

Wie nimmst du die Musikszene wahr im Verhältnis zur Kunstwelt? 

Ich glaube, das Schöne an der Musik ist, dass sie nicht in derselben Art und Weise einer klaren Aufmerksamkeitsökonomie unterworfen ist wie die Bildende Kunst. Die Musik ist dadurch auch viel freier?

(c) Philippe Gerlach

Paul Ebhart