“Ich hasse Musik”: Conny Frischaufs Sprach- und Hör-Spiele entlang der Grenze zwischen Da und Dort

“Kenne Keine Töne” – diese Erkenntnis klingt wie ein Befreiungsschlag und bietet Conny Frischauf ausreichend Platz für spielerisches Experiment, fröhliche Wissenschaft, blühende Fantasie. Zwei Gespräche und eine gemeinsame Listening Session zu ihrer neuesten Veröffentlichung verlaufen wie vergnügliche Entdeckungsreisen durch ein Album voller “ungekannter Schallereignisse”.
05.07.2024
Text: Michael Giebl, Alle Zitate: Conny Frischauf, Fotos: Marija Jociūtė

Conny Frischauf schreibt jeden Tag. Mit der Hand, in Notizbücher (nicht liniert!). Was davon als Songtext auf einem Album landet, oder als unveröffentlichtes Transkript in dick gebundenen Papierstapeln, ist anfangs ungewiss. Der Gedanke, ein Buch herauszugeben, stelle Frischauf vor die scheinbar unlösbare Herausforderung, eine Auswahl aus diesem Konvolut zu treffen. Eine Auswahl, die ihr hingegen um vieles leichter fällt, wenn sie gerade eine Platte aufnimmt (“OK, dann nehm’ ich eben eine Platte auf.”). Für das “Konstrukt Album” finden Text und Klang mühelos zueinander, gehen Synergien ein, lassen sich auf dem Blatt (oder an einer der eigenen vier Wände) in eine Ordnung bringen. Frischauf vermag es dann, diesen Lied gewordenen Texten “eine Öffentlichkeit zuzumuten” (und nicht umgekehrt). Besagte “Öffentlichkeit” ist es schließlich auch, die die Sprache absteckt, das Genre zuordnet – die Interviewfragen stellt. Immer noch zu oft fühlt sich Frischauf auf eine bestimmte Rolle (“Sängerin”) reduziert, mit einem patriarchalen Kanon konfrontiert (Popkultur), in eine einzelne Disziplin gezwängt (“Musik”). “Ich hasse Musik!” habe sie Gesprächspartner*innen schon an den Kopf geworfen, nur um die Spielregeln zu verwerfen. “Zum Glück bin ich keine Erwartungshaltungs… -schleuder!”

ABWEHR UND ABWANDLUNG

Mitten in den Zwiespalt von Identifikation und Irritation begibt sich Frischauf auch in ihrem künstlerischen Ausdruck, ob auf sprachlicher oder musikalischer Ebene: Vertrautes wird verkehrt, Zusammenhänge aufgehoben, “what you take for granted” in Frage gestellt. In ihrem Sprachspiel bedient sie sich dafür diversen Stilmitteln aus konkreter Poesie, Dada oder Lautmalerei. Ihre Soundkompositionen entstehen auf Synthesizern und Rhythmusmaschinen, auf Samplern und Effektgeräten, auf Percussions und auf Blasinstrumenten, auf Instrumenten, die “nicht mir gehören”. Dabei hegt sie weiterhin eine besondere Beziehung zu allem, das man “aufmachen, bearbeiten, löten” kann (siehe Danksagung auf dem Plattencover “für die langjährigen Partnerschaften an u.a. [Korg] MS 20 und [Roland] JX3P”). Überholte Technologie sei eine irrelevante Zuschreibung. Frischauf schätzt die Weite der Musik, ihre uneingeschränkten räumlichen Möglichkeiten (“Warum sollen Stücke als Ganzes ausfaden? Warum kann man den Track nicht einfach weiterlaufen lassen – endlos?”) gegenüber anderen Medien, in denen sie sich ebenfalls ausdrückt – beispielsweise der Zeichnung: “Musik hat den Vorteil, dass sie unmittelbarer ist, anders funktioniert als eine Zeichnung, die visuell ist, für mich viel zu konkret manchmal – auch mit all ihren vorgegebenen Grenzen, wie Papierformaten zum Beispiel”.

EIN TON SAGT MEHR

Ein Mehr an Möglichkeiten. Dass Musik daher auch ganz ohne Worte, Worte ganz ohne Musik ihren Platz auf einem Album wie Kenne Keine Töne (Bureau B) finden, ist selbstverständlich: “Ich liebe es, Instrumentalstücke zu machen.” Eine Stimme könne schnell die Aufmerksamkeit der Hörenden stark auf sich ziehen, vereinnahme die Interpretation eines Liedes. Stücke ohne Text verdienen bei Frischauf genauso viel Beachtung: “Ich habe auch vorgeschlagen, das instrumentale Röte als zweite Singleauskopplung zu veröffentlichen, um ein Spektrum vorzustellen.” (Die zweite Single wurde schließlich Nordwestwind). Die beiden allein von Frischaufs Stimme vorgetragenen Tracks M und Nichts wiederum entwickeln in nur 54 beziehungsweise 18 Sekunden ganz ohne zusätzliche Sounds ihre besonderen Melodien, die in den Gedanken noch lange nachhallen. Kenne Keine Töne spannt seine Palette mühelos von Tanzmusik über Instrumental bis hin zu Non-Music. 

Eine Bandbreite, die Frischauf nebenbei auch als Zuhörerin und DJ unter Beweis stellt. Sie besitzt eine Plattensammlung, in der auch viel Library Music zu finden ist: Historische Tonaufnahmen, Rundfunkpublikationen, Field Recordings, Geräuschsammlungen, Vertonungsschallplatten (etwa für Unterwasserfilme). Auf das Thema Soundtracks angesprochen schwärmt Frischauf von der Wiederveröffentlichung einer Schallplatte, die 1981 für einen Animationsfilm entstanden ist: Alice Through The Looking Glass (Music For Animated Television Film) des ukrainischen Komponisten Volodymyr Bystriakov. Auch mit Kenne Keine Töne zelebriert Frischauf das Zusammenspiel von Bild und Ton.

LANDSCHAFTSLAUTMALEREI

Die Freundschaft mit Anna Wacławek, die die grafische Gestaltung, Illustrationen und Layout zu Kenne Keine Töne beigetragen hat, nimmt ihren Ausgang im gemeinsamen Studium an der Kunstakademie in Vilnius 2021 und dem intensiven Austausch über Psychogeographien: “Wie wir uns verorten, und wie wir uns erinnern, und was die Erinnerung an Orte mit uns macht”. Wacławek nimmt Frischaufs Textmaterial (inklusive “Regieanweisungen” in eckigen Klammern, dem “stummen” Teil der Lyrics) und arrangiert es, ohne viele Vorgaben oder vertiefende Deutschkenntnisse (die beiden kommunizieren untereinander auf Englisch) als visuelle Poesie über die Inner Sleeve, verweht Silben und Worte, lässt sie umeinander fliegen und kreisen – so wie es der Text gerne auf der Bedeutungsebene tut. [Anmerkung: das Wortfindungsspiel Scrabble ist das einzige Brettspiel, das Frischauf gerne spielt, und auf ihrem Kühlschrank hängen Wortsilben als frei arrangierbare Magneten.] Auch damit positioniert Frischauf Kenne Keine Töne – in einem kollaborativen Akt – im Gemeinschaftsraum von Musik, Literatur und bildender Kunst. 

GESELLSCHAFTSPFADFINDUNG

Ein physischer Ort der Begegnung – die Stadt – beschäftigt Frischauf auch als Veranstalterin einer neuen Lesereihe, angesiedelt im öffentlichen Raum. Die Scape Readings sind ein ressourcenschonendes Format 20-minütiger Lese-Performances an unterschiedlichen Punkten der Stadt, die sich die Eingeladenen selbst aussuchen, und in denen sie sich, inmitten unvorhersehbarer Geräuschkulisse, zurechtfinden müssen. “Gehen uns die Beine wund / Im Zufall meints die Stadt ganz gut” (Nordwestwind). Frischauf habe die vergangenen zwei Jahre in Wien viel über die Stadt nachgedacht und was es bedeute, am Leben darin teilzunehmen, dazu beizutragen, Kunst für alle zugänglich zu machen, außerhalb gewohnter Veranstaltungsformate und geschützter Räume. Darüber, wie wenig Platz FLINTA*-Personen im Kulturbetrieb nach wie vor eingeräumt wird. Auf die Frage von Lesenden: “Was mache ich, wenn die Stadt zu laut ist?” entgegnet Frischauf: “Dann musst du auch lauter werden oder warten bis es wieder leiser ist.” Vorlesen sei schließlich auch eine Art Sound Performance. Frischauf gibt eine minimale Struktur vor, eröffnet damit viele neue Möglichkeiten – was die Vortragenden und die Zuhörenden damit machen, wie sie es nutzen, sei “immer anders, aber immer spannend”. Eine Versuchsanordnung. 

KEINE GRENZEN NACH OBEN

Als Forschende bewegt sich Frischauf auch in Grenzgebiete, dokumentiert und notiert Landschaften, Übergänge und Verläufe. Die Donau, auch Schauplatz im Video zu Nordwestwind, ist eine Wiederkehrende in Conny Frischaufs Werk, und speist ihre Auseinandersetzungen mit Identitätsbehauptung, Nationalstaatlichkeit, Expansionsbestrebungen, kollektivem Gedächtnis… 

An welchen Demarkationslinien macht man Grenzverläufe fest, wenn man sich erst einmal vom Boden abhebt, untertaucht, sich in Luft auflöst (siehe Vielvölkerstaat und Donaumonarchie)? Wasser, Wind und Wolken sind doch unentwegt in Bewegung – die Grenzen sind fließend, nach oben gibt es keine Grenzen: “Wo ziehen die Wolken hin / Habens eilig oder was / Fliegen hurtig nach drüben / Kann ich hier auch nicht verübeln / [ziehen]” (Düfte) 

ZWISCHEN DA UND DORT

Düfte hat was mit dem Hiersein zu tun, mehr als mit dem Dort sein: Ich kann es den Wolken nicht verübeln, dass sie woanders hinziehen wollen – einfach weil hier gerade eine angespannte Stimmung herrscht”. Auch wenn Conny Frischauf sich aktuell zwischen Wien und Bratislava eingependelt hat, aus vielen ihrer Lieder springt einen die Wanderlust förmlich an (Röte!), eine fröhliche Aufbruchsstimmung trägt sich durch Ton und Text auf Kenne Keine Töne. Schnell ist man versucht, es ein “Reisealbum” zu nennen: “Wolken Wasser Sehnsucht Eis / Steine Gras Gefälle was / Serpentinen hoch mit rüber / Rauf zurück zu dir in die” (Kreise), “Lüfte fallen weiter / fallen weiter / → fliegen” (Aller Wege (Zwölf)), “Dein Boot liegt zwischen da und dort / Dort fall ich rein und fliege fort / [wegfliegen]” (Nordwestwind). Die Drum springt, das Waldhorn weckt, die Flöte tanzt – Bewegung liegt in der Luft. Mit “Reisen als einen Zustand, in den man sich versetzt” umschreibt Frischauf ihren Zugang, den sie schon als Eisenbahner-Kind (“oft alleine gewesen und alleine sein gewollt”) entwickelt und – nach kurzer Unterbrechung durch das “Erwachsenwerden” – inzwischen wiedergefunden hat.

IM FLIESSEN ANGEKOMMEN

Zu jeder Reise gehören auch ein Abschied und ein Ankommen: “Ich muss sagen, ich bin wirklich glücklich über diese Lieder. Es gab eine Zeit, in der ich dachte, darüber nicht glücklich sein zu dürfen”. Zwischen dem Vorgängeralbum Die Drift (2021) und Kenne Keine Töne (2023-24) liegen wenige Jahre mit vielen Veränderungen, und Frischauf erlaubt sich heute “eine neue Beziehung zu dem Sein mit Klängen”, und einen langen Sommer an der Donau. Das aktuelle Album ist eben auch das Resultat einer sehr persönlichen Geschichte, neu gewonnener Freiheiten. Vielleicht macht Kenne Keine Töne Frischauf auch darum so glücklich? 

Die Freude darin und die Freude darüber fliegen einem bis ans Ohr.

“Und kenn ich keine Töne oder kenn ich welche ist doch gleich wie ungleich wie dazwischen und so auch im drehen immer weiter…” (Auszug aus dem Label-Text)

Weiterführende Links:

CF Website

CF Bandcamp: Kenne Keine Töne / Die Drift

Conny Frischauf – Nordwestwind (Official Video)

Scape Readings: sedimente (@_sedimente_) • Instagram photos and videos

(c) Anna Weisser

Conny Frischauf

This article is brought to you by Struma+Iodine as part of the EM GUIDE project – an initiative dedicated to empowering independent music magazines and strengthen the underground music scene in Europe. Read more about the project at emgui.de

Funded by the European Union. Views and opinions expressed are however those of the author(s) only and do not necessarily reflect those of the European Union or the European Education and Culture Executive Agency (EACEA). Neither the European Union nor EACEA can be held responsible for them.