„Techno war irgendwann auserzählt“ – Im Gespräch mit Transki

Sollte es wieder mehr Aufwand sein, neue Musik zu entdecken? Der Wiener DJ, Producer und neuerdings auch Labelbetreiber Kevin Yang aka Transki erklärt im Gespräch mit Simon Popp, wie er in Handarbeit seinen Musikgeschmack entwickelt hat – und gibt Einschätzungen zur Zukunft eines Genres.
23.03.2025
Interview: Simon Popp, Photography: Ronja Kappl

Zugegeben, der Labelname Mystic Research im Kontext Trance hat mich erst einmal auf eine spirituelle Fährte geführt. Aber bereits den Kollegen von FM4 hast du erzählt, dass die Mystik und Heiligkeit, die du meinst, eher im Profanen zu finden ist. Nämlich in der doch ziemlich irdischen Tätigkeit des Diggings von Musik, beim Graben und sich Vortasten, beim Kennenlernen von Musik und ihren Datenträgern. Du sprichst davon, dass es diese Momente zunehmend weniger gäbe. Warum?

Musik ist heute jederzeit verfügbar – und genau das verändert unser Verhältnis zu ihr. Algorithmen geben uns, was wir ohnehin mögen oder was gerade angesagt ist. Dadurch geht die aktive Suche und das persönliche Entdecken immer mehr verloren.

Früher war das für mich ein bewusstes Erkunden, ein richtiges Eintauchen in eine Subkultur. Man musste graben, sich austauschen, mit Freund:innen wetteifern: Wer hat das Unbekannteste entdeckt? Wer bringt den nächsten unerwarteten Track? Es ging darum, sich darüber zu definieren. Diese Sozialisierungsfunktion ist heute verloren gegangen. 

Deswegen poste ich beispielsweise auf Instagram viel altes Zeug, auch weil ich mir denke: das habe ich letztens gefunden oder wiedergefunden. Viele der Releases sind älter als ich und klingen nach 30 Jahren noch immer verdammt gut. 

“Das Medium sollte der Musik folgen, nicht umgekehrt.”

Das finde ich übrigens ein sehr gutes Genre auf deinem Instagram, einfach diese kleinen Clips mit Etiketten oder Covern plus die Musik. Erinnert mich an ein früheres Internet, wo Privatleute anonym auf YouTube gerippte Musik hochgeladen und allen gezeigt haben. So habe ich eigentlich die meiste Musik kennengelernt.

Mein Instagram-Kanal ist für mich noch immer mein private space. Ich teile dort, was mich fasziniert, ohne große Strategie dahinter. In Wien gibt es diesen legendären Plattenladen [Anm.: SingSing Records, Neustiftgasse], wo man sich noch auf den Boden setzt und durch Kisten wühlt. Da findest du alles: Hip-Hop, Hardcore, Schlager, Techno, Festival-Trance – und genau das ist das Spannende.

Dieses physische Stöbern, das Gefühl, sich durch tausende Platten zu arbeiten, schult das Gespür für den Kontext. Man entwickelt ein Bewusstsein dafür, welchen Release was ausmacht: Welches Label? Welche Ästhetik? Welche sozialen Codes? Italienischer Techno aus Neapel Ende der 90er tickt ganz anders als französischer Deep House nach 2000. 

Bist du grundsätzlich ein analog kid, mit Platten, dem Physischen?

Früher ja, inzwischen hat sich das gewandelt. Es geht mir nicht um das Medium, sondern um die Musik. Eine gute Idee bleibt eine gute Idee – egal, ob sie auf Vinyl, Tape oder digital erscheint. Das Medium sollte der Musik folgen, nicht umgekehrt.

Vor etwa 10 Jahren, als man als kleines Label noch relativ einfach Platten produzieren lassen konnte, als die Plattenpressen noch nicht von dieser neuen Nachfrage überrollt wurden, gab es fast so eine Art Fetisch auf die Schallplatte. Leute wollten unbedingt den analogsten Sound erzeugen, der so „warm“ wie möglich klingt. Eigentlich hat der dann eher den Träger Schallplatte bedient.

Klar, das haptische Erlebnis ist ein anderes, wenn man eine Platte auflegt. Aber dieser “Analoge-Wärme”-Fetisch? Den kann ich nicht nachvollziehen. Vieles davon ist vermutlich Nostalgie. Ein Track ist nicht gut, weil er auf Vinyl gepresst ist – er ist gut, weil die Idee dahinter überzeugt. Sounddesign ist nur Ausdruck der Idee.

Apropos Nostalgie, ich bemerke bei mir manchmal so eine Nostalgie für das Internet von, ich sag mal 2009 bis 2012, stark komprimierte Minimal-Tracks auf YouTube, im anderen Tab Discogs. Sollte man vielleicht seinen MP3-Player wiederbeleben?

Ich verstehe das total. Streaming-Dienste wie Spotify sind praktisch für unterwegs. Als DJ oder Produzent geht es mir aber um mehr: Wertschätzung, für das was jemand vor mir geleistet hat und ein Verständnis dafür aufzubauen, in welchem Kontext das passiert ist. Neue Releases versuche ich ein bisschen einzuordnen. Wer ist diese Person, woher kommt die Inspiration, aus welcher Ecke kommt der Sound? Früher hätte man vermutlich gesagt, welcher Schule ist das zuzuordnen? Viele DJs kategorisieren Musiker:innen in eine „Signature Sound“-Identität, was mir leider viel zu kurz greift. Dadurch verliert sich jegliche Mehrschichtigkeit einer Persönlichkeit. Discogs ist dabei sicher ein gutes Tool, um da reinzudiggen.

Wer ist diese Person, woher kommt die Inspiration, aus welcher Ecke kommt der Sound?”

Mit deinem Label Mystic Research willst du an diesen Moment des Musikfindens zurück!

Genau. Es geht um diesen Kipppunkt im Kopf: Wow, ich habe was Neues gefunden! Diese algorithmische Versorgung von Musik wird natürlich für die Mehrheit der Menschheit ausreichen. Aber für Subkulturen und Szenen sollte dieser Anspruch nicht genügen – da sollte es manuelle Kuratierung brauchen.

MYSTIC01 ist direkt eine große Compilation mit 15 verschiedenen Interpreten, sie heißt Year Of The Wood Dragon. Wofür steht das?

Eine Compilation erlaubt mehr Freiheit als eine EP oder LP. Ich wollte, dass alle die beitragen, Neues außerhalb der Komfortzone ausprobieren, ohne einem strikten, stringenten Konzept folgen zu müssen. Die Idee mit dem Mondkalender kam mir ganz natürlich – weil ich das langfristig durchziehen möchte, mit der gleichen Periodizität wie der ostasiatische Tierkreis.

Und werden sich die verschiedenen Tiere ästhetisch unterscheiden? Weißt du: Dies ist ein Dragon-Sound, was für Klangfarben hat das Huhn?

Ich hab’s versucht. Gerade beim Drachen hatte ich ein klares Bild: ein Aufwachen, ein Aufsteigen. Solche Assoziationen helfen, eine Compilation zu strukturieren. Denn irgendwann stellt man sich zwangsläufig die Frage: Was wollte ich eigentlich erreichen?

Praktisch ist es total schwierig, 15 Tracks zusammenzubringen. Und dann sollen sie dem Konzept entsprechen – man muss das relativ offen angehen, aber trotzdem auch gezielt, um bei der Sache zu bleiben. 

“Techno war das Maß aller Dinge, und wer sich nicht daran gehalten hat, flog raus.”

Wird Mystic Research jetzt vor allem aus den jährlichen Compilations bestehen? Welche Releases sind noch geplant?

Die größte Herausforderung sind die Ressourcen. Ich merke erst jetzt, wie viel Arbeit dahintersteckt. Aber ja, ich will den Tierkreis voll bekommen – das bedeutet 11 weitere Jahre, haha. Dazwischen wird es EPs geben und dieses Jahr noch eine LP.

Ist Mystic Research denn ein Trance-Label bzw. Genre-Label? Ich erinnere mich noch an Zeiten, wo Goa ein ziemliches Tabu in der Technoszene war. Da find ich’s cool, dass du bei deinen Instagram-Uploads keine Grenzen setzt zwischen Electro aus Detroit, deutschem Dubtechno und Psytrance – und zwar ohne Ironie. Aber was bedeuten dir Genres?

Ich finde Unterteilungen und Genres haben ihre Berechtigung. Ich kann es nicht ausstehen, wenn man quasi alle Subkulturen und Suböffentlichkeiten versucht zu nivellieren. Dass es Genres gibt und diese ihren Platz haben, ist unglaublich bereichernd. Berlin in den 2010ern war dagegen teilweise extrem elitär – Techno war das Maß aller Dinge, und wer sich nicht daran gehalten hat, flog raus. Ich erinnere mich, wie ich im Volkspark Friedrichshain gesessen bin und Drum’n’Bass aus einer Bluetooth-Box gehört hab – das fanden viele Leute gar nicht cool. 

Ein anderer wichtiger Punkt ist, dass wir mit aufhören sollten, so davon besessen zu sein, Genres technisch zu definieren. Das sind endlose Diskussionen! Für mich waren Genres immer auch ein Ausdruck sozialer Zugehörigkeit. Persönlich war Techno leider irgendwann auserzählt. Trance fühlte sich frischer an, hatte mehr Raum. Als ich 2020 angefangen habe, war Trance in der öffentlichen Wahrnehmung quasi tot. Aber auf Reddit und SoundCloud gab es Leute, die sich gefreut haben, dass sich wieder etwas tut.

“Ich kann mit Ironie in der Musik überhaupt nichts anfangen”

Und wiederum in den letzten 5 Jahren ist Trance an vielen Stellen neu aufgeleuchtet, fast so ein bisschen Mode geworden zwischen Berlin und Kopenhagen. Viele sind aufgesprungen, oftmals aber mit so einer Ironie…

Ich kann mit Ironie in der Musik überhaupt nichts anfangen. Sie ist oft eine Ausrede für: Ich kann’s nicht richtig. Wenn ich etwas mache, dann ernsthaft, mit vollem Einsatz. Das heißt nicht, dass Musik keinen Humor haben darf – aber sie sollte sich nicht selbst untergraben.

Aktuell ist Trance jedenfalls nicht tot! Zwischen den Fashion Bros, Ironie oder kühleren Köpfen wie Alpha Tracks – wohin wird die Reise gehen?

Schwierige Frage. Es gab zuletzt eine Arte-Doku über Trance, und ich frage mich, wie der Trash-Faktor da Einzug gehalten hat. Aktuell dominiert Hedonismus, Ironie und Auffallen um jeden Preis. Die Musik selbst ist dabei nur das Werkzeug einer Kunstfigur. Aber das wird weiterziehen. Trance sollte sich wieder rückbesinnen. Der Name beschreibt ja im Grunde eigentlich ganz gut, um was es gehen sollte.

Vielen Dank!

Transki

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