„Die Theaterproduktion ohne Theater“ – Aki Traar im Interview
Du bist beides: Komponist von Theatermusik und Produzent eigener Tracks, Alias: dein bürgerlicher Name. Sind das zwei Persönlichkeiten, zwei Vorhaben?
Ich sehe mich einfach als Musiker. Ich habe im Laufe des Studiums – als ich zuhause Beats und am selben Tag noch in der Uni mit Klangkunst experimentiert habe – nach und nach gelernt, diese unterschiedlichen Interessen als Teile eines Ganzen zu sehen. Ich habe mir damals eingebildet, dass das getrennt voneinander existieren muss. Mittlerweile finde ich viel Freiheit in der Erkenntnis, Dinge ausprobieren zu können, ohne sie gleich beschriften zu müssen. Für mich ist es alles Musik, und je nach Rahmen oder Kontext ist sie unterschiedlich. Das kann ein Eigenrelease sein, ein Theaterstück, für einen Film oder als Teil einer Kunstinstallation. Dieser Ansatz, eben nicht mehrere Persönlichkeiten daraus zu machen, hat mir schon geholfen. Dass ich meinen Klarnamen verwende, ist aber vielleicht auch leichter, da ich auf diesen Projekten nicht viel singe, dann wäre so eine zusätzliche Schutzmaske vielleicht doch hilfreich.
Wie nah oder fern liegen diese Produktionsprozesse aneinander?
Der Unterschied der Produktionsprozesse zwischen Eigenreleases oder z.B. einer Installations- oder Theaterproduktion ist, dass ich beim Eigenrelease sehr viel Zeit allein verbringe, aber auch viel mehr Freiheiten habe. Es vergehen Phasen, in denen ich Wochen und teilweise Monate an nur einer Idee arbeite. Bei Gruppenprojekten oder Theaterstücken kommt man eher noch aus dem Kammerl raus, da gibt es sofortiges Feedback, ob etwas funktioniert oder auch nicht, und man arbeitet gemeinsam an einem Ding und jeder ist bemüht, es so gut wie möglich zu gestalten.
Nicht nur am Burgtheater, für das du produziert hast, ist Offenheit spürbar für Impulse, Symbole und ästhetische Experimente aus der gesamten Popwelt, zu der ich auch SoundCloud-Kulturen zähle. Ich habe mich gefragt, ob das eine einseitige Bewegung ist: Saugt das zeitgenössische Theater alles auf, was es verwenden kann? Oder finden auch Rückkopplungen statt, aus dem geschlossenen Bühnenraum wieder heraus? Vielleicht hast du Erfahrungen.
Generell ist meine Beobachtung, dass der Theaterbetrieb die ganze Gesellschaft auf seine Art zu spiegeln versucht. Da ist sehr viel dabei, wie du sagst, aus der Pop-Kultur, SoundCloud etc. Ich denke, Theater steht im besten Fall im Dialog mit der echten Welt. Ich bin aber auch als Musiker nicht völlig in dieses Ökosystem eingebettet. Für mich findet immer ein Informationsaustausch statt. Ich selbst habe durch die Arbeit am Theater erst eine richtige Wertschätzung für Literatur entwickelt, oder dramaturgisches Komponieren – eine Geschichte mit Hilfe der Musik zu erzählen -, oder Schauspiel. Die meisten dieser Bereiche hatte ich davor nicht wirklich am Schirm. Ich habe dann begonnen, Musikwissenschaft zu studieren, weil mich auch diese Welt jenseits von Pop oder zeitgenössischer Klangkunst, in der Musik interessiert hat und ich mehr wissen wollte – und das war sicher auch vom Theater angeregt.
“Ein Kollege meinte früh zu mir, Theatermusik sei eine dienende Musik; das hat mich am Anfang ein bisschen verunsichert.”
Ich kriege meist mittelgroße Cringe-Zustände, wenn schlecht gemachter Techno im Theater läuft, vor allem, wenn der dann wirklich nur so Sachen wie Wildheit, Ekstase, Außersichsein symbolisieren und die Offenheit gegenüber Popkultur der Stadttheater beweisen soll. Gibt es musikalische Formen, die du am Theater ablehnst?
Musikalische Formen, die ich generell ablehne, gibt es so eher nicht. Bei Techno im Theater kommt es auf den Fall drauf an, aber das sehe ich meistens mit Ironie. Die Leute aus der Produktion wollen eventuell selbst darauf hindeuten, dass diese Art von Techno in vielen Fällen genau für solche Zwecke verwendet wird. Ich denke nicht, dass da behauptet wird, das ist jetzt sowas wie OG Detroit Techno, oder so. Da geht es immer um das Stück und die sind ja auch unterschiedlich. Viele Menschen, die in den Club gehen, hören sich Techno an und es symbolisiert eben Wildheit und Ekstase. Wenn das Theater das dann spiegelt, passt das irgendwie auch. Ein befreundeter Kollege meinte früh zu mir, Theatermusik sei eine dienende Musik; das hat mich am Anfang ein bisschen verunsichert, weil man schnell der Annahme ist, alles, was man macht, muss mega-cool und künstlerisch-top-ausgeklügelt und konzeptuell sein, aber auch das kann man als Verbildung betrachten. Gerade dann tut es gut, mal loszulassen und Musik zu machen, die nicht so verkopft ist. Dass Theatermusik eine dienende Funktion haben kann, klingt auch schlimmer als es ist; im Endeffekt, steht sie im Verhältnis zum Bühnengeschehen, gestaltet den Abend mit, und muss in der Hinsicht auch Rücksicht auf die Rahmenbedingungen nehmen.
Schon mal einen Wunsch von Regie oder Dramaturgie verweigert?
Ja, bestimmt. Aber es ist mir wichtig, dass es ein Umfeld gibt, in dem man als Team und vor allem die Regie einfach auch Ideen teilen kann. Der Probenprozess lebt vom Experimentieren, und da will ich gerne offen bleiben. Es ist schon passiert, dass ich Ideen oder Anregungen in einem ersten Impuls eigenartig fand und nicht verstanden habe, die dann aber probiert habe umzusetzen und gemerkt habe, dass sie gut passen und dem Stück helfen. Regisseur:innen haben oft einen viel besseren Überblick über die Komplexitäten der verschiedenen Ebenen einer Geschichte und deren Welt, für die ich als Musiker, unter all den dutzenden Ableton-Steuerclips und mitten im Arbeitsprozess vielleicht gerade nicht aufmerksam bin. Ich habe Musik für ein Kinderstück gemacht mit einer Passage, deren Musik ich so vielleicht nicht auf meinem Spotify releasen würde, aber trotzdem fand ich sie schön, und war froh darüber auch mal sowas gemacht zu haben. Meistens will ich die Sachen nachträglich nicht verändern, wenn sie passen; die Leute auf der Bühne müssen auch die Möglichkeit bekommen, sich an die Musik zu gewöhnen. Vor allem der kollaborative Aspekt des Theaters ist etwas, das ich dann auch in meinen Releases übernommen habe.
“Der Probenprozess lebt vom Experimentieren”
Machen wir einen Schritt zurück: wie bist eigentlich zur Musik gekommen?
Ich habe als Kind mit E-Gitarre begonnen. Ich habe sie damals geschenkt bekommen und spiele sie sogar heute noch, dazu gab es eine Green Day-CD. Irgendwann habe ich dann als Teenager das erste Mal Flume gehört und mein Leben nicht mehr gepackt, weil diese Musik so anders und neu für mich war. So kam ich zu Garageband und schließlich über einen Freund zu Ableton. Dann Studium im ELAK. Wie viele im Theater, habe ich dort mit einem unbezahlten Praktikum begonnen, und da hätte die Theatermusikerkarriere für mich auch schon wieder enden sollen. Es ist mir auch wichtig das so zu betonen, weil es für Außenstehende sicher nicht so klar ist, wie man da weiterkommt. Ich hatte auch einfach großes Glück mit dem Team dort, vor allem mit dem Musiker Bert Wrede, bei dem ich gelandet bin. Der hat mich unter seine Fittiche genommen, und ich habe ihn am Ende der Produktion gefragt, ob ich nicht nochmal mitarbeiten könnte. Ich habe dann also nochmal ein Praktikum machen können. Das Umfeld war ganz was Neues, die Arbeit intensiv – alleine von den Arbeitszeiten her – es hat mir aber Spaß gemacht, weil ich viel lernen konnte. Ich kam frisch vom ELAK und habe ständig Fragen gestellt, warum und wie man das alles macht. Damals habe ich nicht daran gedacht, jemals selbst die Musik für ein Stück zu komponieren. Am Ende des zweiten Praktikums bekam ich bei ihm dann eine Assistenzstelle, und konnte offiziell Sound Design machen, das war dann schon für das Stück Maria Stuart. In der Zwischenzeit hatte die ehemalige Regieassistentin meiner allerersten Produktion ihr erstes Stück am Vestibül zugesagt bekommen und mich gefragt, ob ich nicht probieren wollte, dafür die Musik zu machen.
Mir gefällt diese Playlist hier. Insbesondere die narrativen Titel. Ohne vom Theaterstück – es sind Ausschnitte deiner Bühnenmusik – etwas zu wissen, funktioniert da etwas für mich. Hast du den Anspruch, dass deine Bühnenmusik auch als eigenständiges Werk agiert und funktioniert? Oder machst du am Theater Dienstleistungen für andere Formen? Vorhin hast du von dienender Musik gesprochen.
Das ist eine schwierige Frage, auch weil die Tracks, die dann schlussendlich in so Playlists landen, die sind, die am meisten nach fertigen Tracks klingen. Es wandern viele Sounds und Musikstücke in die Bühnenmusik. Teilweise sind es Drones als Untermalung, Klangteppiche, kurze und hochfrequente Störgeräusche usw. Mein Anspruch beim Soundtrack oder Sound-Design ist in erster Linie, dass es zum Stück passt und etwas dazu beiträgt. Es lässt sich oft in zwei Kategorien unterteilen: die Zwischenaktmusik und die ‚Untermalungen‘. Bei der Zwischenaktmusik probiere ich Musikstücke zu komponieren, die für sich selbst stehen können und einen Wiedererkennungswert haben. Auch beim Publikum wird die Theatermusik oft nicht unbedingt wahrgenommen oder als eigenständiges Werk betrachtet. Bei meiner ersten Produktion haben wir stundenlang an den Zwischenaktmusikstücken gefeilt. Bei der Premiere kam es dann so, dass die Zuschauer:innen, sobald die Musik anfing, es als Signal verstanden haben, sich endlich wieder im Sessel bewegen und husten zu können. Als Zuschauer verstehe ich das aber auch.
“Das ist die Theaterproduktion ohne Theater. Es sind die Alben, die ich für mich selbst mache.”
In wenigen Tagen erscheint das erste Album deines Soloprojektes AKI TRAAR auf Ashida Park. Es nennt sich “PERPETUUM MOBILE“. Was treibt dieses Mobile an?
Das Schöne am Perpetuum Mobile ist, dass es gar nicht existieren kann, aber wenn es existieren könnte, bräuchte es keinen externen Antrieb, um sich zu bewegen. Der Gedanke kam mir erstmals in einer Phase letzten Winter, in der ich viel Ambientmusik gemacht habe. Für mich klang die Musik ein bisschen nach so einem klassischen Mobile, bei der sich die Summe der Teile bewegt, aber sich die einzelnen Teile nie berühren können. Ich finde auch das Bild, dass sich die Teile selbst balancieren und so füreinander da sein müssen, sehr schön.
Irgendwie ist mein Soloprojekt auch ein Gegenpol zur Arbeit am Theater, aber es ist davon natürlich auch beeinflusst. Das ist die Theaterproduktion ohne Theater. Es sind die Alben, die ich für mich selbst mache. Meistens sammle ich konstant Ideen und Eindrücke und bin von gewissen Klängen und Formen inspiriert. Mit dem Solo-Projekt habe ich dann die Freiheit, diese Ideen umzusetzen.
Während der vorab veröffentlichte Track “THE CLEARING” noch klar aus dem Post-Club tönte, und die Wahl des Labels und das Artwork auch dorthin verweisen, überraschen die klaren, fast klassischen Breakbeat- oder Jungle-Elemente von “CELESTIA” – das ist ja fast richtige Tanzmusik. Ist das ein Statement?
Der Sound wird von so vielen verschiedenen Impulsen geformt, die destillieren sich in diesen Tracks. An sich bin ich nicht unbedingt ein Fan von Genrezuordnungen, aber man kann gewisse Elemente bestimmt klaren Musikrichtungen zuschreiben. Meine Musik wird viel von Freund:innen, Kolleg:innen und dem Internet beeinflusst. Vielleicht sehe ich die Tracks des Albums eher so wie die Kapitel eines Buches oder die Akte in einem Stück. Jedes darf für sich stehen und auch komplett anders sein. Für mich reicht es, besonders bei diesem Projekt, wenn es gut klingt und Spaß macht.
Ashida Park sagt ja über sich selbst: hybrid club. Ich frage mich manchmal, wieviel Club eigentlich in dem Genre steckt, also die wirklichen Clubs, die Nächte, die Gebäude. Bist du übers Feiern zum Post-Club bekommen, oder andersherum, oder vielleicht gar nicht?
Ich denke, der Begriff Post-Club soll den Leuten helfen, die vielleicht nicht so viel mit dieser Art von elektronischer Musik zu tun haben, und sie dort abholen, wo sie sind. Auf meinem Album ist kein Track, den ich traditionell der Clubmusik zuordnen würde, aber es sind musikalische Stilmittel aus der Clubmusik darin enthalten, die dann kompositorisch verarbeitet werden. Der Track “2001″ trägt diesen Titel, weil mich dieser schnelle, trance-artige Beat an den Weltraum-Trip von David Bowman in Kubrick’s “Space Odyssey“ erinnert hat. Es ist ein 180bpm schneller 4/4 Beat. Es gibt hier zwar eine Kickdrum, aber das Tempo assoziiere ich irgendwie nicht mit Club. Ein großer Teil meiner Arbeit spannt sich zwischen Gegensätzen auf. So war meine experimentelle Musik nicht experimentell genug und die Clubmusik nicht clubbig genug, aber ich mache das, was mich in dem Moment bewegt. Bei Post-Club frage ich mich, inwiefern eine Generation solche Begriffe einsetzt, um sich von älterer, bereits existierender Musik abzugrenzen und die Eigenheit der eigenen Musik damit zu definieren. Aber Post-Club ist ja nicht das gleiche wie Post-Moderne. Ich finde es schwierig, die Entwicklung von Musik so linear zu betrachten. Es gab schon früh diesen Sound, und es wird auch in Zukunft großartige Nicht-Post-Club-Clubmusik geben. Vielleicht lassen sich nur die Ambient-Tracks am Album wie “THE CLEARING” als Post-Club verstehen, weil man sie gut um 5 in der Früh am Weg nach Hause vom Club hören kann.
“Ein großer Teil meiner Arbeit spannt sich zwischen Gegensätzen auf.”
Würdest du überhaupt ein Genre, einen Core benutzen, um dich zu beschreiben?
Ich kann mich selbst auch immer nur in Phasen beschreiben. Das, was ich jetzt mache, wird wahrscheinlich nicht das sein, was ich in 3 Jahren mache. Wenn man so Microtrends bedienen will, was man meiner Meinung nach eher nicht tun sollte, könnte man sich schon für jedes Projekt ein neues Genre oder Score ausdenken. Als ich begonnen habe an “PERPETUUM MOBILE” zu arbeiten, habe ich es Freund:innen als Cinematic Post-Club Ambient Music vorgestellt. Jeder weiß, dass so etwas ironisch gemeint ist, aber irgendwie funktioniert es trotzdem ganz gut. Bei anderen Artists ist es dann auch einfach Hip-Hop, obwohl z.B. Kanye West’s Alben “Yeezus” oder “Graduation” vollkommen andere Klangqualitäten haben. Vielleicht ist elektronische Musik in diesem Fall die beste Bezeichnung. Oder einfach nur Musik.
Was ist der Veitstanz?
Ich habe in den letzten Monaten viel über Musik im Mittelalter gelesen, vor allem die Cantigas de Santa Maria. Der Veitstanz ist auch so ein historisches Phänomen der Tanzwut, in der Leute in ein Tanzfieber verfallen sind.
Im Gegensatz zu deiner letzten EP “Helix Bruise” gibt es diesmal keine Remixes oder Kollaborationen. Warum der Schritt?
Es gibt viele Kollaborationen! Auf “PERPETUUM MOBILE” war ich zwar der einzige Producer, aber es gab auch musikalische Kollaborationen z.B. mit dem Chor Danica aus St. Primus in Kärnten. Kollaborationen mit Lena Kalleitner, die viele der Visuals macht, oder den Mixing und Mastering Engineers. Diesmal gibt es auch eine Kollaboration mit Ashida Park, worüber ich mich sehr freue. Vielleicht kommt ja noch irgendwann Mal ein Remix-Album von PM raus…
Kurz zurück zum Theater: mir ist aufgefallen, dass einige Tracktitel räumliche oder zeitliche Dimensionen tragen: “THE CLEARING”, die Lichtung, oder “EVENING CHORUS”. Das könnte fast aus einem Score kommen. Hast du bei der Produktion von “PERPETUUM MOBILE” doch konkret Szenisches vor Augen gehabt?
Vielleicht nicht unbedingt eine Szene, aber auf jeden Fall emotionale Assoziationen zu Orten – fiktiv oder real – und den damit verbundenen Räumen und Farben. In dem Fall war meine Freundin Anna auch involviert, wir haben uns zusammen hingesetzt und probiert zu spüren, wo es uns beim Hören der Tracks gedanklich hintreibt. “THE CLEARING” ist für mich eine Lichtung, auch im Hinblick auf den Ablauf des Albums. Der “Evening Chorus” wird von einem Schwarm Vögel gesungen.
Vielen Dank für das Gespräch!
Aki Traar
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