“Jede:r kann zu 7/8 tanzen” – Im Interview mit Huuum

HUUUM ist ein in Wien stationiertes Trio. Könnt ihr etwas zur Entstehungsgeschichte von HUUUM erzählen? Wie habt ihr euch gefunden?
Omid Darvish: Ich habe mich in der Pandemie mit Folklore-Musik aus dem Iran auseinandergesetzt. Ein Instrument hat mich dabei besonders beschäftigt – die Sorna, ein Blasinstrument. Es ist ein sehr besonderes Instrument, weil man in allen Städten des Iran Sorna spielt, sie aber jeweils anders klingt. Z.B. kurdische Musik klingt anders, als Musik in Teheran. Es hängt von der ethnischen Zugehörigkeit ab. Ich habe viel traditionelle Musik gehört, transkribiert, geschrieben und mir an einem Punkt gedacht, dass ich diese Kenntnisse nutzen möchte. Die Frage war nur wie? Ich bin also auf die Suche nach einem Instrument gegangen, das ähnlich wie die Sorna klingt, da ich nicht den ganz traditionellen Weg einschlagen wollte. Ich habe mich schließlich für das Saxophon entschieden und dann aktiv nach Musiker:innen gesucht. Als ich Astrid Wiesinger gefunden hatte, dachten Astrid und ich uns beide, dass unbedingt elektronische Musik dazukommen sollte, also habe ich Rojin kontaktiert. So haben wir angefangen.
Die dritte Person, die Teil eurer Formation ist, fehlt heute – Alvaro Collao León, der seit 2024 statt Astrid Wiesinger spielt.
Rojin Sharafi: Ja, wir sind alle total beschäftigt! HUUUM hat für Omid und mich Priorität. Alvaro verfolgt unterschiedliche Projekte. Er ist auch in der zeitgenössischen Musik aktiv, er unterrichtet, er spielt bei vielen Ensembles, er hat eigene Projekte. Proben müssen wir mitunter ein halbes Jahr im Voraus planen. Das ist eine ziemlich schwierige Situation, aber auch die Realität der Musikszene, in der alle zehn andere Jobs haben.
Omid Darvish: Ich finde das aber auch nicht unbedingt schlecht. So haben Rojin und ich auch viel Zeit zu forschen und in die Tiefe zu gehen, um erst dann mit den Proben und der Produktion zu beginnen.
Ist viel auskomponiert? Also weiß Alvaro bei den Proben bereits, was er spielen soll? Zu welchen Teilen ist es improvisiert, zu welchen komponiert?
Omid Darvish: Das ist schwierig zu sagen. Es ist eine Mischung aus beidem. Aber wenn wir von Improvisation sprechen, dann geht es auch nicht um die Art von Improvisation, wie man sie vielleicht aus dem Jazz kennt, sondern die Improvisation basiert auf der Folklore-Musik.
Alvaro kommt nicht aus dem Iran. Wie geht er vor, wenn er sich diesen Sounds, Rhythmen und Tonalitäten annähert? Muss er nicht ein spezielles Wissen haben, um dahin zu kommen?
Rojin Sharafi: Es ist Motivarbeit, d.h. das, was das Saxophon spielt oder was Omid singt, sind ganz klare Motive. Innerhalb dieser Motive bewegt sich dann auch die Improvisation. Ich kann mich erinnern, dass Astrid manchmal improvisiert hat und Omid meinte, dass es zu sehr in Richtung Free Jazz geht, was wir nicht wollen. Das ist nicht die Sprache und Ästhetik, die wir suchen.
“ein Dialog zwischen diesen zwei Orten”
Omid, in deinem anderem musikalischen Outlet Kurdophone werden gerade diese Jazz-Elemente mit traditionellen Elementen kombiniert. HUUUM ist nun ein Projekt, das sich bewusst Richtung Elektronik öffnet. Beide eint aber deine diasporische Erfahrung und in beiden beschäftigst du dich auf eine Art mit Folklore-Musik. Mit Kurdophone trittst du häufig in klassischen, sogenannten “World Music” Kontexten auf, aber HUUUM ist jetzt vom Sound her eigentlich für den Club gedacht. Fühlen sich diese Projekte sehr unterschiedlich an für dich?
Omid Darvish: Ja, für mich ist das ganz anders! Ich habe zwei verschiedene Rollen in diesen zwei Projekten. Ich habe mit Kurdophone angefangen, aber ich bin jetzt eigentlich mehr da, wo wir mit HUUUM sind. Es ist wie ein Weg, eine kontinuierliche Entwicklung. Und wenn du von der diasporischen Erfahrung sprichst — wir sind zwar nicht mehr im Iran, aber für mich ist es so: ich habe lange im Iran gelebt und der Iran ist ein Teil von mir, und das obwohl ich seit 10 Jahren in Österreich lebe. Ein Teil meiner Familie ist in Österreich, aber ein Teil ist auch im Iran. Das ist auch wichtig für mich. Es ist wie ein Dialog zwischen diesen zwei Orten.

“eine neue Interpretation iranischer folkloristischer Musik”
In eurem Pressetext steht, dass ihr eine Art von Futurist Folk spielt, was mich an afrofuturistische Konzepte und auch Kodwo Eshuns Idee von Sonic Fiction denken lässt. Inwiefern ist euer Futurist Folk an ein diasporisches Bewusstsein gekoppelt? Lässt sich das in Zusammenhang bringen?
Rojin Sharafi: Es hat mit einer gewissen Form von Freiheit zu tun. Denn wir wollen nicht nur reproduzieren, was bereits da ist, sondern auch unsere eigenen Visionen einbringen. Das betrifft nicht nur die musikalische Ebene, sondern beinhaltet auch Kostüme, Visuals, oder Masken. Es gibt einerseits viel Potential in der traditionellen Musik, aber wir versuchen nicht da stehen zu bleiben, sondern unsere Rolle darin zu finden.
Omid Darvish: Genau, ich glaube auch, dass das Ziel war, eine Form von Freiheit zu schaffen. Das Konzept ist zwar sehr stark, aber das was wir machen ist eine ganz neue Interpretation iranischer folkloristischer Musik.
Rojin Sharafi: Es ist unser Wunsch, diese iranisch-traditionelle Musik mehr in anderen Kontexten zu erleben, z.B. Clubräumen. Wir schaffen Musik, in denen wir Teile von uns wiederfinden, auch weil das vielleicht bislang noch nicht der Fall war. Wir sind zwar nicht mehr im Iran und wir kommen auch nicht aus den Regionen, wo diese Musik gelebt und gespielt wird, aber trotzdem sind wir durch die Sprache und die Musik in Kontakt mit unserer Geschichte. Dadurch dass das in Wien so wenig der Fall ist, versuchen wir einen Raum zu schaffen, für uns, aber auch für die Community. Bei unseren Konzerten treffen sich auch unsere Freund:innen aus dem Iran. Unsere Konzerte sind auch ein Angebot an sie, zusammenzukommen und vielleicht auch eine Diskussion darüber zu führen, was sie gerade gehört haben.

“Einen Raum zu schaffen, für uns, aber auch für die Community.”
In der elektronischen Musik gibt es mittlerweile zahlreiche Beispiele von diasporischen Künstler:innen, die sich bewusst ihren Roots widmen und diese in ihrer musikalischen Sprache reflektieren. Auf diese Art entsteht auch im Clubkontext ein neues Vokabular. Es wird mit der westlichen Dominanz gebrochen und Clubmusik dabei weiterentwickelt. Inwiefern spielt dieser Fortschrittsgedanke, der auch in dem von euch gewählten Wort “Futurist Folk” liegt, eine Rolle?
Rojin Sharafi: Ich finde das ist nicht wirklich neu. Die Frage ist auch, ob die Welt und die Menschen offen sind, das zu akzeptieren und ich glaube, es ist eine gute Zeit dafür. Wenn wir HUUUM vor 20. Jahren gemacht hätten, hätten wir, glaube ich, nicht dieselbe Presse bekommen und wir hätten wahrscheinlich nach 2 Konzerten nicht mehr weitergemacht.
Welche Rolle spielt die westliche Musik an den Musikhochschulen im Iran und in welchem Verhältnis steht die traditionelle Musik dazu?
Omid Darvish: Auf der Uni gibt es nur zwei Arten von Musik: europäische klassische Musik und klassische iranische Musik, aber keine folkloristische Musik.
Wie hast du dir dann das Spiel und den Gesang beigebracht. Wo hast du das gelernt?
Omid Darvish: Ich habe mit klassischer Geige angefangen und habe dann begonnen, Tanbur zu spielen. Tanbur kommt aus Kermanschah und spielt eine sehr wichtige Rolle in der iranischen Folkloremusik. Dann hat es seinen Lauf genommen. Es hat alles mit Tanbur angefangen.

“Es hat alles mit Tanbur angefangen.”
Über Rhythmik schafft ihr es in jedem Fall mit westlichen Konzepten zu brechen. Ihr bezieht traditionelle persische Rhythmen mit ein, die teilweise sehr komplex sind. Welche Rolle spielen diese Rhythmen innerhalb von HUUUM, die ihr euch ja selbst als “Antwort auf das Verbot im Iran zu tanzen” wie ihr im Pressetext schreibt, versteht. Könnt ihr das näher ausführen?
Rojin Sharafi: Was wir machen ist eigentlich Folklore-Tanzmusik. Im Iran gibt es ist nicht nur 4/4, sondern auch 6/8, 2/4, 5/8, …
Omid Darvish: Ja, da gibt es alle möglichen Rhythmen! Ich erinnere mich, als meine Großmutter etwas in 13/8 geklopft hat. Das ist nicht einfach! Aber für uns ist es Tanzmusik. Ich glaube auch, dass das natürliche Rhythmen sind. Ich glaube jede:r kann zu 7/8 tanzen!
Wenn man im Club ständig nur 4/4-Rhythmen hört, vergisst man leicht, dass der Körper auch andere Rhythmen kennt. Dabei kann der Körper viel mehr – er lernt schnell und reagiert unmittelbar. Das bedeutet: Wenn man im Club die Möglichkeit bekommt, andere Taktarten zu erleben, etwa ungerade Rhythmen (Odd Times), wird der Körper sich mit der Zeit daran gewöhnen und auch darauf reagieren
Ja, das ist auch langweilig. Es ist super, wenn sich das öffnet und es ist auch inspirierend zu hören.
Rojin Sharafi: Unsere Körper sind darauf eingestellt, dass wir uns bewegen, sobald ein 4/4 Takt kommt, selbst wenn die Musik nicht zum Tanzen einlädt. Er ist viel einfacher als andere Rhythmen. Wir haben auch eine Nummer, von der wir denken, dass es unsere Hitnummer ist “Yezle”. Die ist auch im 4/4-Takt. Aber es war uns wichtig, auch andere Rhythmen zu integrieren. Es ist eine schwierige Aufgabe, aber wir schaffen das. (Lacht)
Omid Darvish: Ja natürlich, schaffen wir das! Wir mussten auch viel lernen und haben eine Entwicklung durchgemacht.
“Für die Leute im Iran ist es nicht kompliziert”
Omid Darvish: Bei der Nummer “Chapi” haben wir lange diskutiert, weil der Rhythmus extrem schwierig ist. Er funktioniert nicht wie ein geschriebener Rhythmus, sondern wurzelt in der Idee, dass zwei Personen, ein Sorna-Spieler und ein Trommel-Spieler, die seit ihrer Kindheit zusammen spielen, einfach drauf losspielen. Wir haben lange dafür gebraucht und viel diskutiert. Manchmal ist es sehr kompliziert. Aber die gute Nachricht ist, für die Leute im Iran ist es nicht kompliziert und das bedeutet, diese Musik ist nicht wirklich kompliziert. (Lacht)
Ist es ein Wunsch von euch, auch im Iran zu spielen? Oder habt ihr das schon getan?
Omid Darvish: Ich nicht. Ich habe dort nie gespielt. Ich weiß nicht warum. Ich habe vielleicht einige sehr kleine Underground-Konzerte im Iran gespielt, mehr aber nicht.
Aber in Teheran gibt es eine aktive Szene oder?
Rojin Sharafi: Es gibt wenig Ressourcen und deshalb einen starken Konkurrenzkampf. Das färbt auf die Stimmung ab.
Omid Darvish: Und die offizielle Musikszene von Teheran ist unterdrückt und unter Kontrolle der Regierung. Musiker:innen wie wir haben natürlich keinen Platz in dieser Szene.
Rojin Sharafi: Etwas selbst zu organisieren würde gehen. Aber es ist auch eine Musik, die nicht in Teheran beheimatet ist.
Was heißt “HUUUM” eigentlich?
Rojin Sharafi: Huuum ist ein über 2000 Jahre altes persisches Wort. Es ist eine mythologische Pflanze, der nachgesagt wird, dass sie reinigend wirkt und heilen kann. Es gibt auch Überlieferungen über eigene Huuum-Rituale.
Wenn du sagst Rituale, denke ich an eure Masken. Was waren eure Beweggründe dafür, Masken zu tragen?
Omid Darvish: Ich verkörpere verschiedene Charaktere in HUUUM. Ich singe in fünf verschiedenen Sprachen und komme bei jeder Nummer aus einer anderen Stadt. Deshalb wollte ich mein Gesicht nicht zeigen.
Genau, es fällt dem ungeschulten Ohr vielleicht nicht sofort auf, dass du nicht nur in einer Sprache singst. Welche sind das?
Omid Darvish: Balochi, Kurdisch, Persisch, Arabisch und Luri.

“Du darfst im Iran in der Schule keine andere Sprache lernen”
Es sind Sprachen, die im Iran gesprochen werden, oder? Beherrscht du diese Sprachen?
Omid Darvish: Ich kann sie nicht wirklich, aber ich habe es für HUUUM gelernt. Es gibt auch eine Hintergrundgeschichte dazu. Auch in Kurdophone habe ich Sprachen gelernt. Und in Teheran besonders. Ich habe mit meinen Eltern nie auf Kurdisch geredet. Eigentlich ist meine Muttersprache also persisch. Und auch meine Eltern reden schon lange nicht mehr auf Kurdisch. Du darfst im Iran in der Schule keine andere Sprache lernen. Solche Probleme gibt es.
Rojin Sharafi: Die Menschen, die kommen, versuchen ihren Akzent ganz auszumerzen. Es ist eigentlich sehr brutal.
Omid Darvish: Ich habe in Kurdophone, die kurdische Aussprache mit Kurd:innen gelernt. Und ich glaube, auch mit HUUUM ist es mir ganz gut gelungen. Zumindest haben mir das Freund:innen gesagt, deren Muttersprache es ist.
Dein Gesang ist ja auch stark inspiriert von traditionellen Gesängen. Hast du das gelernt?
Omid Darvish: Ich habe es gehört und gelernt, aber das, was ich singe, ist nicht 100% original. Mein Style ist auch HUUUM.
Der Gesang und die Instrumentalparts in HUUUM werden gleichwertig behandelt. Ich persönlich finde es besonders, speziell im Club, wo du es nicht wirklich so gewohnt bist, dass jemand singt. Es hat schon eine sehr spezielle Kraft.
Rojin Sharafi: Ja, das stimmt. Beim letzten Konzert hat Omid hat 55 Minuten ohne Pause gesungen. Es war wirklich stark. Und auch die Interaktion mit dem Publikum. Nicht nur über das Singen.
Und die Texte? Könnt ihr skizzieren, worum es geht?
Omid Darvish: Es sind verschiedene Themen. Ich habe die Texte geschrieben und sie dann mit lokalen Künstler:innen übersetzt.
Rojin: Ich glaube bei “Āzmān” und bei “Bahre Tavil”, den Nummern, die sehr viel Text haben, da geht es um psychoanalytische Themen. Fragen, sich die aus der Beschäftigung mit sich selbst ableiten, und nach dem Verhältnis zu deiner Mutter und deinem Vater fragen. Es geht viel um Erinnerung. Und bei “Yezle” ist die Form eine Protestform. Es ist so, als würden die Menschen auf die Straße gehen und der Beat gleicht den Schritten. Es geht um Gerechtigkeit.
Omid Darvish: Es ist sehr abstrakt.

“Mit HUUUM möchten wir Hoffnung und Wertschätzung geben”
Musik ist etwas Offenes, Abstrakte, dennoch kann sie bzw. Ist sie politisch, auch wenn die Texte nicht konkret politisch sind. Es liegt auch in der Ästhetik begründet.
Rojin Sharafi: Es ist Musik der Regionen, die unterdrückt wurden. Die Kultur, die Sprache, die Religion dieser Menschen wurden unterdrückt. Und für uns ist es wichtig, dass wir diesen Menschen Wertschätzung geben. Wir haben einerseits die Sorge, dass diese Kulturen irgendwann aussterben, weil sie auch immer weniger praktiziert und weitergegeben werden, aus politischen und finanziellen Gründen. Wir sind unfassbar privilegiert das machen zu können. Aber irgendwie auch nicht, weil auch wir mit Schwierigkeiten konfrontiert sind. Für mich ist es auch politisch. Es ist ein Projekt, das uns allen Hoffnung gibt, denn sehr oft, wenn der Name Iran fällt, geht es um alles, außer um Hoffnung. Es geht nur darum, wie schlimm es ist. Mit HUUUM möchten wir Hoffnung und Wertschätzung geben.
Omid Darvish: Ich möchte zwar Kunst und Politik auseinanderhalten, aber das ist natürlich unmöglich. Wir sind sehr politisch, ich persönlich bin es und zu sagen: “Ich will das nicht in meiner Musik- Ich hätte gerne, dass meine Musik feinsinnig ist, ohne politisch zu sein,” das geht für mich nicht. Das ist unmöglich.
Herzlichen Dank für das Gespräch!

Huuum

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