“Ich bin seitdem eine Andere” – Im Interview mit FRANKIE (Franziska Aigner)
Unser Interview findet im Rahmen deines Auftritts bei dem Unsafe + Sounds Festival diesen September in Wien statt. Du wirst da mit deinem Solo Projekt FRANKIE auftreten. Ist das eigentlich dein erster Auftritt in Wien?
Ich habe letzten Herbst in der Musikreihe des Tanzquartiers gespielt, aber auch über die Jahre immer wieder choreographische Arbeiten in Wien gezeigt. Und trotzdem, ich spiele und performe relativ selten in Österreich. Ich bin direkt nach der Matura nach Brüssel gezogen, um dort Tanz und Choreografie zu studieren. Dann bin ich weiter nach Frankfurt, dann London, jetzt Berlin und nie wieder zurückgekehrt. Meine Familie wohnt zwar immer noch in Österreich und ich komme regelmäßig zurück, aber ich arbeite hauptsächlich woanders.
Du wirst mit Cello Solo auftreten?
Ja, ich spiele Cello, singe, und benutze Pedale als Sampler und Effektgeräte.
FRANKIE ist dein musikalisches Solo Projekt, du hast bisher zwei EPs veröffentlicht – 2022 ‘Styx’ und 2023 ‘HEAVEN/HELL’. Bei ‘Styx’ ist das Cello noch ziemlich klar als solches rauszuhören. ‘HEAVEN/HELL’ wirkt etwas elektronischer auf mich, das Cello verschwindet ein wenig in Loops und Effekten, es gibt auch vereinzelte Beats. Ist das eine Entwicklung über Zeit oder sind das einfach unterschiedliche Seiten deiner musikalischen Persönlichkeit?
Ich habe Styx während der Pandemie zu Hause aufgenommen. Die Clubs und Konzertorte hatten alle zu. Ich wollte es so aufnehmen wie damals ein Konzert von mir geklungen hätte, deshalb sind alle Stücke bis auf eines als one-take aufgenommen. HEAVEN/HELL ist in einer anderen Zeit entstanden, teils auf Residenzen in Italien und Norwegen mit viel mehr richtiger Studiozeit, und ich bin seitdem eine Andere geworden.
Wie entstehen deine Releases, beginnst du mit einer bestimmten Idee, einem Gefühl oder einem Vibe, oder ergibt sich das aus der Arbeit mit den einzelnen Stücken?
Ich habe das Gefühl dass ich gar nicht weiß, wie man Musik macht. Ich weiß natürlich, dass ich schon Musik gemacht habe und vielleicht auch wie ich sie gemacht habe, aber jedes Mal wenn ich etwas neues machen will, dann erscheint es mir unmöglich. Und irgendwie ist es das ja auch. Kunst ist immer unmöglich, bis wir sie gemacht haben. Es gibt gewisse Dinge, die wir tun können, um uns zu helfen. Manchen Menschen hilft eine Routine oder ein gewisser Ort, an dem man arbeitet, oder eine Methode, der man folgen kann. Aber ich habe für mich gemerkt, dass ich oft am besten in, auf den ersten Blick vielleicht hektisch erscheinenden, Momenten zwischen Tür und Angel arbeiten kann, in zwanzig Minuten schnell am Bett mit einem geborgten Gamer-Headset als Mikrofon bevor man das Haus verlässt, oder in der Nacht nachdem ich aus war. Ich versuche mir hauptsächlich den Rücken frei zu halten, das ist mein Zutun, würde ich sagen. Ich versuche mir den Rücken von vielen Dingen freizuhalten, auch von meinen eigenen Vorstellungen und Ideen. Ein guter Tag ist ein Tag an dem ich viel Zeit in der Musik verbracht habe. Irgendwann weiß ich dass die Arbeit getan ist, da hab ich meistens schon was anderes angefangen.
“Kunst ist immer unmöglich, bis wir sie gemacht haben.”
Deine Musik hat eine zeitlose Qualität, es fällt mir schwer, genau zu sagen, was es ist. Aber ich muss beim Hören an aktuelle Pop-Songs genauso wie an Stücke aus der Renaissance oder frühen Barock denken, oder elektronische Sounds so rund um 2000. Gleichzeitig steht das alles natürlich ganz für sich alleine. Kannst du mit einer Idee einer so zeitlosen Musik etwas anfangen?
Ich höre sehr gern Musik, das klingt jetzt vielleicht komisch, weil das ja so viele von uns tun. Aber es stimmt. Ich höre fast jede Musik gerne, von sogenannter ernster bis hin zu populärer Musik, unterschiedliche Volksmusiken, elektronische Musik etc. Und genauso möchte ich unter keinen Umständen von einem Standpunkt aus Musik machen, an dem ich zum Beispiel zwischen ‚high‘ und ‚low‘ art unterscheiden würde. Das ist wichtig. Ich fühle mich dazu verpflichtet zu lernen, was gewesen ist und bin dankbar für die vielen Dinge, die andere vor uns geschaffen haben. Aber es gilt auch immer wieder innerhalb dieser Erinnerung, den Kanon dessen, was und wie erinnert wird, zu kritisieren und zu problematisieren und zu verstehen, dass Geschichte immer auch eine Geschichte der Unterdrückung ist. Mein Zugang zur Musikgeschichte, der näheren und der fernen, ist also nicht schlüssig oder einfach. In den letzten Jahren spüre ich da manchmal etwas mehr Freiheit, und die Musik, die dabei entsteht, ist anders. Vielleicht kannst du das hören..
Du hast einige Jahre eine klassische Ausbildung als Cellistin absolviert. Fließt aus dieser Zeit noch etwas in deine aktuelle Musik mit hinein?
Ich spiele immer noch das Cello meiner ehemaligen Lehrerin. Ich habe so viel von ihm gelernt, so viel Schönes und Trauriges, Lustiges und Schreckliches.
Das erste Mal, als ich auf dich als Musikerin aufmerksam wurde, war im Zusammenhang mit deiner Arbeit mit Anne Imhof bei Faust. Nach dem großen Erfolg in Venedig, wo das Stück auch mit dem Goldenen Löwen ausgezeichnet wurde, ist ein paar Jahre später die LP “Faust” auf Bill Kouligas’ PAN Label erschienen. Du bist auf dem Album mit der Nummer ‘O.w.e.n’ gecredited. PAN ist natürlich schon sehr etabliert, quasi ein ‘Kultlabel’, bewegt sich aber doch in einem etwas anderen Kontext als die Welt der Performance und bildenden Kunst. Hat diese Veröffentlichung etwas mit einer Wahrnehmung von dir als Musikerin verändert?
Das Faust Album kam auf der Soundtrack-Schiene von PAN raus, ich glaube sie heißt Entopia. Anne, Billy [Bultheel], Eliza [Douglas] und ich wollten die Performance und unsere gemeinsame Zeit in Venedig, die ja unser aller Leben verändert hat, irgendwie festhalten. Die Performance wurde von den Zuseher:innen aber schon so viel gefilmt und fotografiert – und Instagram und andere soziale Medien funktionieren hier ja als Archiv – da hätte es keinen Sinn gemacht, parallel dazu noch ein Video rauszubringen. So haben wir beschlossen das Ganze dokumentarisch als Platte zu denken. Die Idee war es also die Dokumentation der Performance als Album zu denken und Bill hat das verstanden und rausgebracht. Es war der erste Albumprozess, den ich von vorne bis hinten begleitet habe und ich habe viel dabei gelernt. Es war für mich auch ein Prozess, um das Stück loszulassen.
“Ich kann besser arbeiten, wenn ich mich nicht primär disziplinär verorte und leicht außen vor bin.”
Wie ist deine Zusammenarbeit mit Anne Imhof eigentlich entstanden?
Wir haben beide in Frankfurt gelebt. Wir hatten viel Zeit und die haben wir miteinander verbracht. Da ist langsam ein gemeinsames Verständnis, eine Freundschaft und aber auch geteilte Ästhetik entstanden. Das hat zu ziemlich viel Kunst geführt.
In einem Interview hast du einmal erwähnt, dass du dich eigentlich nicht als interdisziplinäre Künstlerin bezeichnen würdest. Welchen Einfluss haben die unterschiedlichen Disziplinen untereinander, in denen du dich bewegst?
Diese Liebe zu nur einer Tätigkeit oder einem Material, die ich in manchen Kolleg:innen erkenne und bewundere, habe ich nicht. Es gibt so viel, das ich gerne machen will, und bei den meisten Sachen muss ich erstmal lernen, wie ich das machen kann. Deshalb brauche ich immer Jahre um etwas zu tun und verbringe ein paar Jahre mit hauptsächlich einer Sache. Aber früher oder später kommen die anderen Dinge immer wieder zurück und das ist auch ok. Ich kann irgendwie besser arbeiten, wenn ich mich nicht primär disziplinär verorte und leicht außen vor bin. Das gibt mir die Freiheit, mich nicht zu sehr um gewisse disziplinäre Anforderungen und Normen zu kümmern, und mich zwischen den Dingen und Tätigkeiten und Geschichten zu bewegen. Der Preis ist, dass ich nie wirklich wo dazugehöre, aber damit komme ich klar.
Du hast vor kurzem deinen PhD in Philosophie abgeschlossen. Was war für dich der Grund, dich so intensiv mit der Materie auseinander zu setzen? Deine Dissertation war über ‘Kant and Technics. From the Critique of Pure Reason to the Opus Postumum’…
Es gibt so viele Bücher und Ideen, die ich nicht verstehen kann.
Die Arbeit wird Ende dieses Jahres im Bloomsbury Verlag erscheinen. Warum Kant bzw. anders gefragt, welche Relevanz hat das Denken des Philosophen für dich 2024?
Ich will die Frage konkret auf mein Projekt beantworten. Ich habe ein Doktorat im Kontext der Technikphilosophie des 20. Jahrhundert geschrieben und dabei eine gewisse Herangehensweise an Technikgeschichte problematisiert, die einerseits die Abwesenheit von genuinem Technikdenken in der Philosophiegeschichte kritisiert und lamentiert, andererseits aber das vorhandene Technikdenken auf quasi-tragische Art und Weise unterdrückt, es also selbst nicht sehen kann. Kant hat dabei als Exempel fungiert, er hat die Anfänge der industriellen Revolution gerade noch so miterlebt, hat aber laut den prominenten Technikdenker:innen des 20. Jahrhundert nichts von Technik verstanden, sich nicht zur Technik geäußert, und nicht einmal die technische Konstitution seines eigenen Bewusstseins erkannt. Alle drei Punkte hab ich widerlegt. Es geht also einerseits um Kant, andererseits aber um das Technikdenken als solches in seiner Beziehung zur Technikgeschichte, also der Frage, wie unser zeitgenössisches Denken über die Technik von der Technikgeschichte geprägt ist und von ihr abhängt. Und wie sich gewisse Probleme, vor allem die Beziehung der Menschen zur Technik, anders aufrollen und abarbeiten ließen, wenn die Geschichte des Technikdenkens eine andere wird.
“Das Projekt ist mir wichtiger als die Autor:innenschaft.”
FRANKIE ist ein Solo Projekt, du arbeitest aber auch viel mit anderen Künstler:innen zusammen. Wie würdest du hier Unterschiede für dich ausmachen?
Ich arbeite gerne daran mit, Dinge in die Welt zu bringen, die mir wichtig und wertvoll erscheinen. Da geht es gar nicht so sehr darum, wessen Werk es im Endeffekt ist. Viele der für mich wichtigsten Kunstwerke wurden nicht von einem Menschen gemacht. Viele Dinge auf dieser Welt, die uns wirklich etwas bedeuten, wurden nicht von einem Menschen alleine gemacht. Das Projekt ist mir also auf gewisse Weise wichtiger als die Autor:innenschaft. Das ist das eine. Das andere ist, dass wir, wenn wir am Ende manchmal einen einzelnen Namen unter eine Arbeit setzen, doch eigentlich alle wissen, dass das der Realität des Schaffens schlecht entspricht. Dazu kommen materielle Tatsachen – jemand hat Geld und kann andere bezahlen, um Kunst zu machen oder den eigenen Prozess zu unterstützen, und andere brauchen Geld und werden dafür bezahlt, die Kunstwerke anderer zu machen oder zumindest daran mitzuarbeiten. Diese politische Dimension gilt es auch in der Kunst- und Musikproduktion mitzudenken und zu problematisieren, die Frage der Autor:innenschaft hat viel mit den sozio-politischen und materiellen Umständen zu tun. Ich habe früher sehr viel in unterschiedlichen Kollektiven gearbeitet und zuerst lange vermieden, für andere zu arbeiten, es dann aber doch getan. Manche Dinge kann ich besser alleine machen, muss ich alleine machen. Manchmal sehne ich mich nach Gesellschaft
Wird es mit FRANKIE ein Folgeprojekt geben, wo du mit anderen Künstler:innen zusammenarbeiten wirst?
Die letzten Jahre habe ich viel alleine gearbeitet, dieses Jahr aber in guter Gesellschaft verbracht und dabei zwei kollaborative Alben erarbeitet. Ein experimentelles Streicheralbum mit der Bratschistin battle-ax ist schon fertig und wird hoffentlich noch dieses Jahr rauskommen. Und dann gibt es da noch ein zweites Album, an dem ich gemeinsam mit dem Produzenten Kelman Duran arbeite. Wir spielen Ende August im Zuge von Berlin Atonal unser erstes Konzert. Sowohl Kelman als auch battle-ax sind so gut in dem, was sie tun. Ich kann mein Glück kaum fassen.
Vielen Dank für das Interview!
FRANKIE wird am 10. September im WUK Projektraum in Wien im Rahmen des Unsafe+Sounds Festivals zu erleben sein.
FRANKIE
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