„Hardcore will never die“ – Schirin im Interview

Hardcore und Hardstyle gab es in der jüngeren Wiener Vergangenheit dank Schirin immer wieder zu hören. Im Rahmen von Hyperreality traf sie 2019 auf Kilbourne, die sie später einlud einen Mix für Toxic Sickness zu produzieren, was sich als Gamechanger entpuppte und sie über die lokalen Grenzen hinaus als Hardcore DJ bekannt machte. Mit persischen Wurzeln in Wien Döbling aufzuwachsen, war für sie keine gute Erfahrung und eine, die immer noch nachwirkt. Ihren Wohnsitz verlagerte sie deshalb nach Berlin, um sich freizuschwimmen von eingefahrenen Mustern. Im Gespräch mit Schirin Charlot Djafar-Zadeh.
19.02.2023
Interview: Bianca Ludewig, Photography: Philippe Gerlach

Wir kennen uns aus Wien, treffen uns jetzt aber in Berlin. Wie kam es dazu, dass du Wien verlassen hast?

Die Entwicklung läuft schon etwas länger. Ich habe schon mit 20 gesagt, dass ich nach Berlin ziehen will. Und ich habe es auch schon einmal erfolglos probiert — der Versuch dauerte nur drei Monate. Ich war zu jung und zu alleine. Ich war noch nicht bereit und bin froh, dass ich nicht geblieben bin. Es ist aber immer in meinem Hinterkopf geblieben, dass ich weg will, vielleicht sogar so lange ich denken kann. Vor zwei Jahren habe ich es geschafft meinen Mut zusammenzunehmen, um aus Gewohnheit und Komfortzone endlich auszubrechen. Und ich muss sagen, dass viele Probleme schlagartig weggefallen sind.

Und wie fühlst du dich jetzt hier in Berlin, in Wilmersdorf?

Es klingt zwar kitschig, aber ich habe das Gefühl, dass ich angekommen bin. Besser kann ich es nicht sagen. Ich fühle mich freier und sicherer in dem, was ich bin.

„Das ist etwas, das sich einbrennt in deine Seele“

Was hat dir denn in Wien gefehlt oder dich gestört?

Von klein auf hatte ich viele von Rassismus geprägte Erlebnisse. Das ist etwas, das sich einbrennt in deine Seele. Das ist etwas das verletzt und für mich immer mit Wien verbunden bleiben wird. Das ist der Hauptgrund.

Wie traurig ist das denn!!

Und dann ist Wien eben auch ein Dorf. Es fehlt der Abstand. Der Abstand wird dir nicht gegönnt. Ich will nicht schlecht über Wien reden, aber es war mir zu eng, zu negativ und zu kleinkariert. Es gab da so Muster, die sich in meinem Umfeld breit gemacht haben, die ich nicht ertragen und denen aber auch nicht entkommen konnte.

Kannst du ein Beispiel nennen?

Toxic Masculinity, allgemein formuliert.

Toxische Männlichkeit existiert ja weltweit und Deutschland ist auch kein besonders optimaler Ort um Rassismus zu entkommen. Berlin ist da eine von wenigen Ausnahmen.

Wenn ich wem von dieser Gattung begegne, bin ich gestärkt dadurch, dass diese Person keinen Raum hat in meinem Leben. Ich kann einfach weggehen und muss diese Menschen nicht in meiner Umgebung ertragen. Und ich weiß, ich bin safe. Woanders in Deutschland würde ich auch nicht leben wollen. Ich vermisse natürlich meine Freunde, meine Mama und meinen Bruder. Ich vermisse auch wirklich die Partys — es ist dann eben doch schöner, wenn es intimer ist. 

Wien ist ja schon der Ort mit den meisten Freiheiten in Österreich…

Jeder andere Ort in Österreich interessiert mich auch Null Komma Null. Viel zu oft, wenn ich am Land war, ist etwas Rassistisches passiert, auch als ich ganz klein war, es ist unglaublich.

„Ich war ein Alien dort.“

Wie war denn dein Aufwachsen in Wien?

Da beginnt das Problem schon, denn ich bin in Döbling aufgewachsen und zur Schule gegangen und es ist sehr konservativ dort. Ich war ein Alien dort. Die anderen Kinder in der Schule haben die Unterschiede auch gesehen und benannt. Das ist nicht so schön, wenn man klein ist.

Das wäre in Favoriten dann wohl anders gewesen. 

Auch schon im 9.Bezirk, wo Freunde von mir zur Schule gegangen sind. Die konnten das gar nicht glauben, was mir alles passiert ist. Die Eltern hatten sich eben etwas in Döbling aufgebaut. Döbling ist rein oberflächlich betrachtet auch ur schön, eigentlich. Ich bin sehr behütet und verwöhnt aufgewachsen, mit viel Liebe und so. Irgendwann bin ich dann auch auf eine andere Schule gekommen, aber da war es schon zu spät. Ich muss aber dazusagen, dass ich jetzt sehr hart daran arbeite, Wien an sich zu entdämonisieren. Im kleinen Wien ist es schwer deinen Platz einzunehmen und dich zu behaupten – über dem ganzen Mist zu stehen, erfordert sehr viel Kraft. Aber ich bin Wienerin und möchte stolz darauf sein.

Was machen deine Eltern beruflich?

Meine Mutter ist Querflötistin und hat an der Universität für Musik und Darstellende Kunst unterrichtet. Mein Vater ist vor kurzem gestorben, er ist Architekt gewesen. Mein Vater war auch Musiker. Als ich ein Baby war, hat er viele Veranstaltungen mit persischer Musik organisiert und selbst viele Instrumente gespielt. Wir haben eine ganze Sammlung von persischen Musikinstrumenten zuhause. Deshalb habe ich auch früh Geige und Klavier gelernt. Musik war immer da.

„In der jetzigen Theokratie des Iran dürfen Frauen nicht öffentlich singen oder tanzen. “

Erzähl doch noch ein bisschen was zu deiner Mutter. Ist sie ein Vorbild für dich?

Mit 12 oder 13 wusste sie schon, dass die Querflöte ihr Instrument ist. Ihr Vater fand so eine musikalische Ausbildung nicht wertvoll. Meine Mutter hat aber nicht lockergelassen und es geschafft, dass sie Unterricht bekommt und dann begonnen in Orchestern zu spielen. Das ging so lange, bis sie ihr Stipendium für Wien bekommen hat. Das Stipendium wurde damals von der Königin übergeben. Da gibt es ein Foto — meine Mutter trägt einen Minirock und lange offene Haare. Zwei Jahre später dann die Revolution. Sie ist ein Vorbild, mit dem ich mich nicht messen kann. Es ist schön und problematisch zugleich. Anders als hier ist im Iran die klassische europäische Musik eher Nische als Mainstream. Deshalb wollten meine Mutter und auch mein Vater nach Europa. Wien galt als eine Hochburg klassischer Musik. Für meine Mutter ist das immer noch ein totales Privileg, etwas ganz Besonderes, dass sie hier einfach in die Oper gehen kann. Auch vor der Revolution war der Iran schon ein sehr religiöses Land. Wenn du nicht in der Stadt gelebt hast, sondern auf dem Land, dann haben alle Frauen Kopftuch getragen und das Musikmachen ist eine Männerdomäne gewesen. Meister haben junge Männer zu Musikern ausgebildet. In der jetzigen Theokratie des Iran dürfen Frauen nicht öffentlich singen oder tanzen. Meine Mutter hatte 2007 in der Schweizer Botschaft im Iran einen Auftritt mit der Gitarristin Lily Afshar zusammen. Wir haben das aus Wien verfolgt und ich fand es so arg und mutig. Es war bis kurz davor nicht klar ob es stattfinden darf, aber da in der Botschaft die Schweiz herrscht wurde es gestattet. Ich hatte ehrlich Angst um sie. Meine Mutter ist die ärgste Feministin, die ich kenne. Link

Mit dem Musizieren auf klassischen Instrumenten hast du dann aufgehört?

Ja, ich war ein Teenager und wollte nicht üben. Mit 17 ging es dann Richtung elektronische Musik — mit meiner Freundin Jaqueline, die Ableton hatte, habe ich festgestellt, dass es auch anders geht. Damals habe ich auch meine ersten Lieder gemacht.

„Mein großes Vorbild ist immer noch Miss Kittin, die coolste Frau der Welt.“

Kannst du dazu mehr erzählen?

Ich habe mir das Musikprogramm Reason geholt und habe da vor allem mit meiner Stimme rumgespielt und Beats daruntergelegt, die Lieder waren nie länger als zweieinhalb Minuten und dann habe ich das auf Myspace gestellt. Mein Stagename war Schicki Micki ich wurde dann einfach entdeckt und es ist dann ins Laufen gekommen, ich hatte Auftritte in Wien und Berlin. Constantin Peyfuss, der in der Wiener Musikszene sehr verwurzelt ist, hat mich 2007 mit DJ ELIN aka Auto Repeat aka Alex Müller bekannt gemacht. Und der hat dann einen fetten Remix von einem meiner Lieder gemacht. Constantin hat mich damals auch quasi nach Berlin geholt. Das waren die drei Monate, die ich nicht überstanden habe. Trotzdem war es cool, eine Erfahrung. 

Es war 2008, das war die Zeit von Justice und der French Electronic… Mein großes Vorbild ist immer noch MISS KITTIN, die coolste Frau der Welt. Ich bin nicht ganz so cool, ich habe dann einfach ins Mikrofon geschrien zu sehr simpler elektronischer Musik. Mein damaliger Freund hat auch Musik gemacht und das haben wir dann manchmal zusammen gemacht, da wurde die Produktion dann schon feiner, aber sie war immer noch kratzig. Den Ansatz so ruffe elektronische Musik zu machen, finde ich auch nach wie vor gut. Also, die Musik würde ich jetzt nicht mehr so machen, aber diese Attitude habe ich schon noch. Leider ist kaum noch was davon online, nur ein paar wenige Livesachen auf YouTube. Ich dachte das Internet vergisst nichts und hatte da auf Myspace vertraut, dass das meine Datenbank bleibt. Die Seite haben sie zwar behalten, aber die Tracks waren weg. Aber das passiert mir nicht wieder. Sowas ist für mich auch Leben, Vergangenheit halt.

„Mein halbes Leben habe ich ohne meinen Nachnamen gelebt“

Und was hast du studiert? Hat das etwas mit deinen musikalischen Ambitionen zu tun?

Auf der Akademie der bildenden Künste habe ich mein Diplom gemacht, in der Klasse Erweiterter Malerischer Raum. Ich habe das Glück, dass meine Freundin Sabine Stastny gleich gegenüber vom Semper Depot ihre Galerie SUZIE SHRIDE eröffnet hat und da hatte ich meine erste SCHIRIN CHARLOT Solo-Ausstellung. Das war toll. Meinen Nachnamen hatte ich lange nicht erklären wollen müssen — „Wie schreibt man den?“ und „Woher ist der?“ — deshalb habe ich für Kunst und Musik nur meinen Vornamen verwendet. Mein halbes Leben habe ich ohne meinen Nachnamen gelebt, aber da bin ich jetzt drüber hinausgewachsen. 

Aber, stell dir vor du würdest Müller oder Kleinschmidt heißen…

Damals hätte ich mir das gewünscht. Wenn alle Müller oder Meyer heißen, dann willst du das eben auch und blond sein und blaue Augen haben.

Und hat der Rest deiner Familie hier in Wien auch diese Erfahrungen gemacht?

Mein Vater ist schon sehr früh nach Wien gekommen — in den 1960ern noch vor der Revolution. Er wollte einfach raus aus dem Iran, denn es war ihm zu konservativ. Irgendwie ist er dann in Wien und an der TU zum Studieren gelandet. Meine Mutter hatte ein Stipendium, um an der Universität Wien zu studieren. Als sie dafür hier war, ist die Revolution passiert. Sie wollte eigentlich nicht in Wien bleiben und konnte dann nicht mehr zurück. Das ist schon arg. Ich kann mir das gar nicht vorstellen. In so einer Situation wird einfach alles ausgelöscht, was eine Frau gelernt hat. Sie ist hiergeblieben und hat erst später durch Freunde aus der iranischen Community meinen Vater kennengelernt. Und dann kam ich.

Und du hast dann viele Instrumente gelernt zuhause? Was habt ihr so zuhause gehört?

Klavier und Sechzehntel-Violine. Es lief vor allem klassische Musik und traditionelle iranische Musik. Als Musiker:in bist du ein:e Meister:in. Deine Schüler:innen lernen deinen Stil — so wird das Wissen weitergegeben. Das ist tolle Musik, die da entsteht. Beispiele dafür wären HOSSEIN ALIZADEHMOHAMMAD REZA LOFTI oder SIMA BINA. Mein Vater hat persische Konzerte in Wien veranstaltet und die Musiker:innen waren oft auch bei uns zuhause. Sima Bina ist eine der wenigen Frauen und sie hat schon damals Konzerte nur mit Instrumentalistinnen gegeben, wunderschöne Musik.

„In Wien waren natürlich die Partys am besten, die wir selbst veranstaltet haben: zuerst Wet & Wild, später dann PUSH“ 

Was war deine beste Hardcoreparty in Wien oder Berlin?

Die beste Party war keine Hardcore Party, aber da durfte ich meine Musiklegenden kennenlernen — Mark Trauner (MARC ARCADIPANE, THE MOVER), MIRO PAJIC, und Peter Votavar (PURE). Das war illegal in einer Kirche, so vor sieben Jahren, und The Mover ist aufgetreten. Der liebe DJ Warzone ist für diese Party extra nach Berlin gekommen und weil er mit Peter befreundet ist, sind die zusammen Essen gegangen und er hat mich gefragt, ob ich mitkommen möchte. Und dann saß ich plötzlich mit denen am Tisch zusammen.

In Wien waren natürlich die Partys am besten, die wir selbst veranstaltet haben: zuerst Wet & Wild, später dann PUSH. DJ WARZONE, FLOWER CRIME, ALPHA TRACKS und Schirin.

Und bist du dadurch zum Hardcore gekommen oder wodurch?

Ich wurde dann oft gefragt, ob ich auftreten möchte, aber ich konnte und wollte nicht mehr. Ich habe mich von Schicki Micki distanziert. Es war dann für alle die logische Schlussfolgerung, dass ich auflegen sollte und ich bin zu Mizi Kreuzen geworden. Die erste Party bei der ich auflegen durfte, war „World Music“ im Fluc, organisiert von Florian Obkircher & Philipp L’Heritier, zwei wichtige Persönlichkeiten der Wiener Musikkultur, die mich auch sehr gepusht haben. Dafür bin ich ewig dankbar. Zuerst habe ich sehr gemischt elektronische Musik und Club-taugliches aufgelegt. Danach ging es weiter mit Happy Hardcore, bis ein Bekannter aus Frankfurt meinte: „Hör mal in PCP rein, das gefällt dir bestimmt!“ Und das hat mein Leben verändert. Das was jetzt gemacht wird, liebe ich auch, aber ich finde im Hardcore müssen alle Jahrzehnte dabei sein, damit es spannend ist.

Als ich 2018 für mein Buch (“Utopie und Apokalypse in der Popmusik: Gabber und Breakcore in Berlin”) nach dir recherchiert habe, habe ich nur wenig gefunden. Heute findet man schon mehr. Es ist viel passiert in den letzten vier Jahren. Wie kam das?

Das war wie ein kleiner Traum. Ich bin bei Hyperreality aufgetreten und am selben Abend hat auch KILBOURNE gespielt. Ich habe dann mein Ding gemacht und sie hat auch richtig geil aufgelegt, so etwas hab ich in Wien noch nie auf einer Party gehört. Danach habe ich eine Anfrage von ihr bekommen, ob ich einen Mix für ihre Radioshow bei TOXIC SICKNESS RADIO aufnehmen möchte. Und nachdem ich das gemacht hatte, kam eine Einladung nach der anderen.

Support ist schon wichtig.

Ja, und es funktioniert auch, das ist schön zu sehen.

Und wie kam der Mix für das Doomcore Label aus Hamburg zustande?

Damit ging auch ein Traum in Erfüllung, denn ich bin LOW ENTROPY Fan. Ich war schon aufgeregt, als er etwas von mir auf SoundCloud geliked hat und dann hat er mich auch nach einem Set gefragt. Es ist toll gesehen und geschätzt zu werden von Künstler:innen die man selbst schätzt für das, was sie tun. 

Und was ist Girlcast? Da hast du auch einen Mix gemacht.

Die KLAUDIA KOWALSKI aus München macht das. Sie veranstaltet auch Partys. In Berlin habe ich bei GRETCHEN BAZOOKA‘s DYNAMIC aufgelegt und Claudia kurz kennengelernt — sie ist sehr cool. Bei GIRLCAST hört man Frauen, die harte Musik auflegen, Girrrl Power.

„ Ich bin gerne laut, wenn es um Respektlosigkeit und um Unrecht Frauen gegenüber geht.“

Siehst du dich denn als Feministin oder was bedeutet Feminismus für dich?

Klar sehe ich mich als Feministin, alles andere wäre komisch für mich. Für mich bedeutet es, dass ich versuche stark zu sein als Frau. Auch bei dem was jetzt im Iran abgeht, das sind Momente, wo man stark und laut sein muss als Frau. Ich bin auch gerne laut dafür, das ist nicht aufgesetzt. Ich bin gerne laut, wenn es um Respektlosigkeit gegen Frauen geht. Ich bin gerne laut, wenn es um Unrecht Frauen gegenüber geht. Das Spektrum ist leider so breit… Laut sein heißt für mich z.B. dass ich mich wenigstens auf meinem Instagram Account äußere — das ist mir wichtig.

Was den Iran betrifft kann man momentan auch gut auf der Straße laut sein. Du hast ja auch bei der Radioshow „Solidarity with Iran“ aufgelegt.

Ja, das war toll. KASRA RAHMANIAN hat KANI LENT und mich zu diesem Themenabend eingeladen. Da habe ich auch ganz andere Sachen aufgelegt: Post-Punk und 80er Zeug, auch Metal und melancholische Musik. Am Ende habe ich eine Aufnahme von Instagram Stories aus dem Iran gespielt, die ich seit dem 16.9.2022 gerepostet habe. Eine Sammlung aus Parolen der Demos, Trauerliedern der Beerdigungen und Ausdrücken der Freude über den Zusammenhalt. Ich liebe es, wenn ich die Möglichkeit bekomme, mich neu auszuprobieren.

Die Demo im November in Berlin war toll, warst du auch dort?

Ich war dort, aber ich war krank. Ich habe nicht mitmarschieren können, aber ich war am Ende dort. Ich hatte ein kleines Plakat gemacht. Das war extrem beeindruckend, so viele Perser:innen an einem Ort! Das war ein sehr intensives Gefühl.

Es wurde ganz viel gesungen und gab Konzerte. Es war sehr kraftvoll und energiegeladen.

Ja, diese Energie von der du dann ein Teil bist. Für mich ist es auch etwas Besonderes gewesen mit so vielen Menschen zusammen zu sein, die unter Anführungszeichen aussehen wie ich. Das erlebe ich nicht oft. Das war toll und es war traurig, ich habe auch geweint. Die Redner:innen waren auch toll. Das sind alles ganz mutige Menschen. Ich bin hier aufgewachsen, war bisher nur zwei Mal im Iran, und sie können nicht in ihre Heimat zurück. Ich glaube das Gefühl kann sich niemand so richtig vorstellen.

„Die Menschen wollen Demokratie, schon so lange.“

Ich war noch nie auf einer Demo zu Frauenrechten, wo so viele Männer waren, auch mit feministischen Plakaten. Traurig andererseits zu realisieren, dass es sonst nicht der Fall ist, aber so sollte es eigentlich sein.

Ja, das finde ich auch wahnsinnig beeindruckend bei diesen Videomitschnitten aus dem Iran: Männer sind da mitten drinnen und unterstützen ihre Frauen. Sie machen Hand in Hand mit. Es betrifft die Männer auch in dem Sinn, dass sie noch nicht mal mit ihrer Freundin Händchen halten dürfen — Freiheiten über die wir gar nicht nachdenken. Es betrifft alle, es ist so viel mehr als einfach nur ein Kopftuch. Übergriffe, Kriminalisierung und Tötungen von Aktivistinnen oder einfach nur Frauen hatten sich dann wieder gehäuft, bis der Mord an Mahsa Amini das Fass zum Überlaufen gebracht hat. Die Sittenpolizei, das sind v.a. auch Frauen. Das ist das absurde. Die reißen die Frauen von der Straße ins Auto und man weiß nicht, was dann mit den Frauen passiert. Man sieht so viele arge Sachen auf Social Media. In Teheran sind die Kopftücher immer weiter nach hinten gerutscht, da haben sich die Frauen jeden Zentimeter hart erkämpft und das hat den Machthabern nicht gepasst. Für die Sittenpolizei hatte Amini das Kopftuch nicht richtig getragen, denn man hat die Haare ein bisschen gesehen. Die Frauen werden eingesperrt und gefoltert. Du hast kein Recht auf ein Verfahren und kannst jederzeit ins Gefängnis kommen. Menschen werden hingerichtet, auf der Straße erschossen. Jetzt ist es mal sichtbar für die ganze Welt. Homosexuelle werden öffentlich hingerichtet, das ist Normalität. Das war so seit ich denken kann. Ich habe das immer wieder in meinem Umfeld erzählt, aber das glaubt hier keine:r. Es scheint jetzt für die Menschen dort ein point of no return erreicht zu sein. Es gibt kein zurück mehr. Der Aufstand 2009 wurde erstickt, aber ich gehe nicht davon aus, dass das diesmal möglich ist. Aber es hat einen sehr hohen Preis… mein Herz bricht. Ich hoffe, dass es diesmal gelingt. Die Menschen wollen Demokratie, schon so lange.

Lass uns nochmal über Musik sprechen. Im Hardcore / Gabber gibt es ja so viele verschiedene Stile, die sich durch spezifische Parameter unterscheiden. Wo verortest du dich da in diesem breiten Spektrum?

Ich mag mich nirgends verorten, in keiner Schublade, denn ich liebe alle Variationen. Wenn ich auflege, ist es mir auch wichtig, diese Meisterwerke ganz zu spielen. Viele machen das gar nicht mehr — Stücke ganz ausspielen. Alle Jahrzehnte und Hardcore/Hardstyles jonglieren, das mag ich. Hardcore will never die.

„But we will“, wie GABBER ELEGANZA auf einem seiner Merch-Shirts festhält. Mein Eindruck ist, dass sich in Wien, vor allem seitdem du weg bist, eine neue Hardcoreszene formiert, wo auch viele jüngere Frauen dabei sind, z.B. DJ SHINSEKAI, DISTORTINA oder DJ DIAMOND. Hast du eine Erklärung dafür?

Ich habe keine Erklärung, aber ich finde es gut, dass es passiert ist.

Wie war die Situation denn, als du noch in Wien aktiv warst?

Als wir noch diese Partys im Venster gemacht haben, gab es viele weitere Hardcore Partys dort. Ich habe dann auch Mädels kennengelernt und man tauscht sich aus, was total inspirierend ist. Was denkst du wieso?

Ich stelle auch nur fest, dass es passiert. Ich hatte ja mit DJ Warzone im Interview darüber gesprochen und vielleicht ist das schon ein Grund, dass Hardcore hier  in der Vergangenheit schon mal sehr präsent war und dass das Spuren hinterlassen hat, Fäden, die jetzt wieder aufgenommen werden. Nachdem es eine Art Übersättigung oder Kommerzialisierung gab, sind viele, wie Warzone auch, eher in den Bereich des harten Techno gewechselt und jetzt gibt es eben wieder Bedarf nach noch härterer Musik, was dann auch bedient wird. Ich denke die Jüngeren sind da durch das Internet einfach näher dran bzw. haben das schon früher gemerkt und darauf reagiert.

Wenn ich mich zurückerinnere – mein Freund Moritz war die ganze Zeit auf Hardcore Partys, aber ich bin damals nicht hin, weil da nur weiße Typen Mitte-rechts dabei waren. Da hatte ich keine Lust drauf. Jetzt entstehen endlich wieder Orte, wo Menschen wie ich, die diese Musik auch lieben, sich sicher fühlen können und das ist einfach toll. Da ist es auch ein Vorteil, dass Wien kleiner ist. In Berlin ist das schwieriger. Das vermisse ich auch hier in Berlin — nicht einfach spontan auf eine gute Hardcore Party gehen zu können.

Gibt es etwas, an dem du gerade arbeitest?

Ich wurde angefragt von einem Kollektiv aus Barcelona, das heißt MUSA und auch Low Entropy hat mich wieder eingeladen für einen Mix. Was das live Auflegen betrifft habe ich ein Booking in Leipzig (ZAN- Zan zendegi azadi) im März und im April bin ich in Potsdam bei TRYBE.

 

Ich freue mich schon auf dein Set im Februar in Wien und auf deine neuen Projekte. Vielen Dank für das Gespräch! 

Schirin