Ernst Lima. The Peak of something very, very dark.

Bei einem Studio-Visit erzählt Ernst Lima über die kürzlich erschienene EP „My Soul is my Terror“. Ernst Lima arbeitet transmedial zwischen Sounddesign, Installation und Komposition. Im Gespräch geht es um die Beschäftigung mit der Dunkelheit, dem Tod, um Härte und Verletzlichkeit, um Potenziale von virtuellen Räumen als Spielplatz, um kulturelle Beobachtungen die in Metaphern und individuellen Mythologien verarbeitet werden und um viele andere Dinge.
13.01.2025
WRITTEN BY ADA KARLBAUER, PHOTOGRAPHY BY MARIJA JOCIŪTĖ

Kürzlich erschien deine zweite EP „My Soul is my Terror“, eine Sammlung von fünf Tracks auf Superego Records. Wie verlief der Entstehungsprozess?

Bei der neuen EP war es mein Ziel, die technischen Fertigkeiten, die ich über die letzten Jahre entwickelt habe in meine Soundsprache zu übersetzen. Ich habe für mich diese Herausforderung gesucht, um eine Balance zwischen den Inhalten der Songs und den emotionalen Feinheiten und Nuancen im Sound zu finden. Die fünf Songs, die ich für die EP ausgewählt habe, erzählen in mythologischen Metaphern und mit wechselnden Klangqualitäten eine emotionale Reise in die Dunkelheit. Im Februar 2024 verbrachte ich gemeinsam mit SSOLVE eine Woche in der Gmunden, wo wir uns voll darauf konzentrieren konnten die EP fertigzustellend. Für diese wunderbare Freundschaft bin ich sehr sehr dankbar. Es ist bereits die zweite EP, bei der er mich in der Produktion begleitet. Er hat ein tiefes Verständnis für meine Sprache und mein Klanggefühl. Die EP hatte ursprünglich einen anderen Titel, doch schien mir „My Soul is My Terror“ viel passender, um das auszudrücken, wofür diese letzten zwei Jahre und diese Songs stehen. Dieser Titel hat es auf den Punkt gebracht, was mich in den letzten Jahren beschäftigt hat – the peak of something very, very dark.

“das gehärtete Äußere des Körpers und die tiefgreifende Zerbrechlichkeit des Inneren”

Woher stammt diese Faszination am Dunklen und den abgründigeren Aspekten?

Das ist wohl Veranlagung. Ich habe zu Beginn meiner Arbeit an der EP einige meiner alten Songtexte wieder gelesen, teilweise Texte die schon Jahre zurückliegen – diese Dunkelheit begleitet mich schon sehr lange. Das hat natürlich auch mit meiner Vergangenheit zu tun. Ich glaube das, was da ausgedrückt wird, hat einen sehr persönlichen Bezug. Es sind Ansätze, die sehr in die Tiefe gehen, die teilweise sehr dunkel sind und eine gewisse Fragilität mit sich bringen… wie die Beschäftigung mit dem Tod, ein Thema das uns alle betrifft, trotzdem schaut man lieber weg, obwohl man sich jeden Tag damit konfrontieren könnte. Verlust und Tod sind auf jeden Fall Themen die ich in dieser EP verhandle. Nicht explizit ausgesprochen, aber ich glaube man spürt es auf gewisse Weise.

Auch der Gesang auf „My Soul is my Terror“ erinnert an Klagelieder und den damit verbundenen mythologische Figurationen. Gab es Beschäftigungen mit solchen Themen? In welcher Form treten diese auf der EP auf?

Mythologische Figuren verwende ich immer wieder in meiner Arbeit, um emotionale Prozesse oder kulturelle Beobachtungen in Metaphern abzubilden oder diese in Songs zu vertonen.

Die Serie zum Beispiel [Lima deutet auf eine Serie von Malereien und Collagen, die an der Studiowand lehnt] heißt „Circuit of Cyane“ und verhandelt das gehärtete Äußere des Körpers und die tiefgreifende Zerbrechlichkeit des Inneren. In der Mythologie symbolisiert die Verwandlung von Wesen in Stein oft einen Moment intensiver Emotionen oder göttlicher Intervention, eine plötzliche und unumkehrbare Veränderung. Diese Serie greift auf antike Metaphern zurück und orientiert sich am Mythos von Hades und Persephone, in dem die Nymphe Cyane, eine enge Gefährtin von Persephone, in einen Wasserstrom verwandelt wird. Die Werke stellen den Prozess der Versteinerung bzw. der Verflüssigung dar, der im Kontext der zeitgenössischen visuellen Bildkultur neu interpretiert wird. Es fließt und wandelt sich, verkörpert den Wasserstrom und deutet gleichzeitig auch den darauf folgenden Stillstand an. Es spiegelt wider, wie die fließende, dynamische Natur der individuellen Identität und des Ausdrucks in der digitalen Welt der sozialen Medien oft eingefangen, eingefroren und objektiviert wird.

“Chromeleather” z. B. spielt mit der Idee der Verbildlichung und Verflüssigung und thematisiert auch das Gefangensein in den Kreisläufen der Algorithmen in sozialen Netzwerken..

Auch bei dem Song „Here & Now“ finden sich Parallelen zu dem Mythos von Hades und Persephone: Der Song steht für den Dualismus von Tod und Leben, die Unterwelt und den Kreislauf von Wachstum, das Starre und die Agilität. Insgesamt zieht sich die Stimmung aus Härte und Verletzlichkeit durch die ganze EP.

“Mit dem Internet verändert sich auch die Erinnerungskultur.”

Wenn man beispielsweise auf digitale Plattformen wie Facebook geht hat man inzwischen das Gefühl man wäre selbst schon gestorben. Die eigene Page als Archiv einer längst vergangenen Zeit. Mir scheint der Tod ist eine wiederkehrende Beschäftigung in deinen Arbeiten. 

Oft, wenn ich durch meinen Feed scrolle, denke ich mir, dass ich ständig tote Bilder konsumiere. Denn jedes Bild, das hochgeladen wird, ist bereits in dem Moment, in dem es online geht, ein Fragment einer (konstruierten) Vergangenheit. So schauen wir uns die ganze Zeit Friedhöfe an. Das Thema Tod/Verlust wird vor allem im Track “Change of Meadows” verhandelt. Es geht darum, jemanden zu verlieren, der in der physischen Welt abwesend bleibt, aber online noch auffindbar und präsent ist. Inzwischen kann man über fast jede Person etwas herausfinden. Wenn du jemanden im Internet suchst, dann findest du sie irgendwann. Wenn aber eine Person schon vorher verstorben ist, ist sie nicht mehr auffindbar. Mit dem Internet wie wir es heute benutzen, verändert sich auch der Erinnerungsgedanke, die Erinnerungskultur.

Ein weiteres wiederkehrendes Thema, auch jenseits der Musik ist das Verhältnis zwischen Online und Offline. Zustände zwischen digitaler Identität und physischer Präsenz. Manchmal als Hybride die sich bedingen, sich austauschen und Räume der Möglichkeiten öffnen. 

Ich spüre in mir diesen Dualismus, der mit meinem Online-Verhalten einhergeht. Oft frage ich mich: „Gehören diese Gefühle wirklich zu mir, oder wie beeinflusst mich all die konsumierten Inhalte, die nichts mit mir zu tun haben?“ Diese emotionale Ebene finde ich sehr spannend. Woher kommen all die gemischten Gefühle? Bin ich bereits das Produkt dessen, was ich online konsumiere? Ich glaube, das Universelle daran ist der Konflikt zwischen dem Verlorensein in den Fluten von Inhalten und der Möglichkeit, alles sein zu können. Man kann alles kreieren, jeder sein, was auch immer man will. Mich interessiert dieses Potenzial, eine Art von Macht, die daraus resultiert. (Es ist wie ein Spielplatz für eine göttliche Komödie.)

Ein Aspekt der sich dann auch wieder auf der EP findet. 

Genau, diese Ambivalenz zwischen dem Offline- und Online- Selbst sowie dessen Potenzial.

Wie gehst du mit Prozessen und Phasen des Wartens um?

Manchmal werden Ideen im Prozess alt, und ich habe mir bei der EP wirklich lange Zeit gelassen. Manche Skizzen werden verworfen oder erst einmal archiviert. Es ist wie bei Bildern – manche halten Stand, andere nicht. Manche überdauern den Moment, andere werden vergessen. Es geht darum, den Druck herauszunehmen, etwas Perfektes schaffen zu wollen. Manchmal ist es einfach der nächste Schritt, den man gehen muss und in fünf Jahren findet man das Resultat möglicherweise gar nicht mehr interessant. Trotzdem hat man den Prozess durchlaufen.Die EP ist auch eine kurze Bestandsaufnahme aus diesem Lebensabschnitt.

“Ich finde die E-Gitarre kann ein sehr nerviges Instrument sein.”

Neben der Musik und dem Sounddesign sind auch verschiedene Formen von Sound-Installationen Teil deiner Praxis. Wie unterscheiden sich hier die Zugänge?

Musik und das Schreiben von Lyrics sind für mich wie ein Katalysator für Themen, die sich in lyrischen Metaphern manifestieren. Im Ausstellungskontext verwende ich die Stimme oft gesampelt, Stimmen aus Archiven oder eine durch Granularsynthese zerstückelte Stimme als auditives Pendant zu meinen visuellen Arbeiten. Die performte Musik schafft ganz andere Gefühle und Eindrücke. Die Sound-Installation öffnet einen anderen Raum, bei dem es eine konzeptionelle Ebene gibt, die nicht zwingend etwas mit einer inneren Befindlichkeit oder Selbstreflexion zu tun hat, sondern eine soziokulturelle Beobachtung in Klang verarbeitet.

Mir geht es mit den Sound-Installationen auch darum, einen Moment des Spürens und des Erlebens zu erzeugen, der dann durch einen Diskurs mehrere Ebenen entfalten kann.

Für “LUCID” (2022), das „Requiem für den physischen Körper“, habe ich queere Stimmen seit den Anfängen der Tonaufzeichnung recherchiert, die auf ihren Platten nicht-binäre Lebenskonzepte thematisierten und aufgrund dessen nicht mehr in kommerziellen Radios gespielt werden durften. Ich habe die Stimmen dieser Songs extrahiert und für das Requiem verwendet.

Sie dienen als Metapher für die letzten Momente des Lebens, in denen alles Erlebte noch einmal gesehen wird. Eine Erinnerung an gelebte Freiräume in der Geschichte, in denen Geschlechterspektren durch Musik erkundet und Alternativen zur körperlichen Darstellung ausprobiert wurden. Durch das fließende Medium Klang wird das Geschlechterspektrum in all seinen reichen, ausdrucksstarken und sich verändernden Formen über binäre Definitionen hinaus hörbar gemacht. Eine vergängliche Form der Verkörperung wird durch das Hören wahrnehmbar und offenbart sich im Fluss der digitalen Welt in neuen Formen der Kontinuität.

Der abschließenden Track der EP „Here an Now“ lässt durch seinen eindringlichen Einsatz der Gitarre in Gedanken verschiedenste Assoziationen und Referenzen entstehen. Was denkst du über dieses Instrument, das einerseits für einige abgelaufene und vor allem stereotype Bilder steht, andererseits aber vermehrt in der zeitgenössischen Musik wieder umgedeutet wird?

Ich finde die E-Gitarre kann ein sehr nerviges Instrument sein. Ich habe viel Rock und Metal gehört, aber auch sehr viel Klassik und Blues, und mich stört, dass die E-Gitarre oft als Werkzeug eines „potenten Körpers“ gelesen wird, besonders im Rock und Metal, wo Schnelligkeit der Technik und Lautstärke das höchste Gut ist. Jenseits dieser Konnotation lässt sich aus diesem Instrument so viel herausholen, wenn man es nicht in ein Genre presst. Die Gitarre kann aggressiv und zerstörerisch sein; sie kann ein Biest werden und gleichzeitig so sensibel, lyrisch und gefühlvoll sein. Ich liebe es, mein Gitarrenspiel auf etwas Minimalistisches zu reduzieren und daraus etwas Episches entstehen zu lassen. Auf der Bühne moduliere ich den Klang meiner Gitarre durch verschiedene Delay-Zeiten in unterschiedliche Rhythmen, verändere die Hüllkurven der einzelnen Töne und experimentiere mit dem Pedalboard, um den Ton meines Instruments zu verändern. Es gibt hier einige tolle Musiker*innen, deren Arbeit an der Gitarre ich sehr bewundere, wie z. B. Rachika Nayar, Sister Rosetta Tharpe oder Robert Fripp.

“Als würde ich etwas channeln”

Was hörst du gerade gerne?

Ich liebe Stille! Bei Studio-Visits drehe ich oft das “Melancholia”-Album von William Basinski auf [lacht]. Aber ganz ehrlich: Ruhe mag ich wirklich sehr. Letzte Woche war ich in der Wüste in der Nähe von Dubai, da ich dort für Christiane Pescheks wundervolle Arbeit FEVER das Sound Design erarbeitet habe. Es war eines der eindrücklichsten Erlebnisse: Man hört den Wind, die „humming dunes“, und diese Kombination aus visueller und auditiver Ruhe lädt mich extrem auf.

Dieses Bedürfnis nach Ruhe und Stille kommt sicher auch daher, dass ich sehr viel mit Klang arbeite und ich meine Konzentration sehr analytisch dem Hören widme. Im Sommer 2024 habe ich die Vinylplatte Hygna produziert, eine Heavy Metal Séance, die beim Unsafe+ Sound Festival gezeigt wurde. Die bereits erwähnte Show FEVER von Christiane Peschek durfte ich vertonen und dazu auch mehrere Male nach Dubai fliegen, um die Reinheit der Landschaft einzufangen. Außerdem wurde ich eingeladen, für das „Heart“-Projekt beim diesjährigen Burning Man Festival in Nevada eine interaktive Installation mitzuentwickeln, deren Soundscape ich realisieren durfte.

Wie schreibst du?

Das Schreiben kommt immer wie ein Sog. Als würde ich etwas channeln, kommt es einfach rausgeschossen. Oft bin ich dann selbst überrascht, wo genau diese Worte herkommen, und mag es, das Geschriebene danach zu analysieren. Das finde ich manchmal auch unheimlich, weil ich diesen Moment des Niederschreibens oft sofort danach vergesse.. als wäre ich in dieser Zeit ganz woanders. Es ist ein wenig so wie automatisches Schreiben, eine Dringlichkeit, die raus muss, eine individuelle Mythologie in der man sich selbst neu kennenlernt.

Wie Traumdeutung im eigenen Schreiben.

Stichwort: gechannelt. Gibt es eine Beschäftigung mit Themen des „Übernatürlichen“ ?

Ich bin im Zwielichtland des Waldviertels aufgewachsen. Seiner Dunkelheit verdanke ich viel – vielleicht sogar alles.

Woran arbeitest du aktuell?

Aktuell arbeite ich an ein paar Sound Design Auftragsarbeiten, die nächstes Jahr gezeigt werden, und bereite mich auf kommende Bühnen-Shows vor. Außerdem nehme ich mir gerade sehr viel Zeit zum Lesen als Vorbereitung für eine größere Ausstellung die im Frühjahr 2025 in Brüssel zu sehen sein wird.

Danke dir!

Ernst Lima

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