EM GUIDE: Jasper Llewellyn (caroline) – Das Album ist weniger nachdenklich und kontemplativ, es fühlt sich eher hektisch an“

Mehr und mehr verliere ich den Draht zum treibenden, halbironischen und ehrlich gesagt ausgelutschten Post-Punk-Sound, der seit einigen Jahren die UK-Gitarrenmusik prägt. Da ist mir eine Band wie caroline wesentlich lieber: Sie schieben das Ganze mehr in Richtung Post-Rock, klingen dementsprechend episch, leben auch von gewissen Emo- und Folk-Anspielungen; wie eine britische Mischung aus Godspeed You! Black Emperor, American Football und Black Country, New Road. Die Musik von caroline ist komplex und voll mit merkwürdigen Time-Signatures, hat aber eine emotionale Direktheit, die solch ausgetüftelten Kompositionen oft fehlt. Das neue Album der Gruppe, „caroline 2“, ist weniger fließend als ihr Debüt und klingt (im bestmöglichen Sinne) rausgepresst, wie acht Musiker*innen, die mit zugekniffenen Augen im Kreis stehen und ihren Emotionen freien Lauf lassen. Verrückt, wie etwas derart Zerfallendes – oder bereits Kaputtes – so aufbauend sein kann.
Herzlichen Glückwunsch zu eurem neuen Album! Wie unterschied sich die Herangehensweise an dieses Album vom Schreibprozess eures Debütalbums?
Jasper Llewellyn: Wir haben viel mehr gemeinsam als achtköpfige Band geschrieben. In dieser Hinsicht war es ganz anders. Das letzte Album wurde mehr von uns Dreien zusammengeschustert, es war zusammengewürfelter. Die anderen haben dazu beigetragen, aber dieses Mal war die Idee eher: Lasst uns eine Platte mit acht Leuten schreiben.
Wie sieht der Schreibprozess mit acht Leuten aus? Fangt ihr einfach an zu jammen oder bringt jemand eine Grundidee mit?
Normalerweise bringt einer von uns dreien eine kleine Idee ein. Dann reden wir zu dritt darüber, probieren Dinge aus und improvisieren ein bisschen, bevor wir eine Art Idee für den Song und ein paar grundlegende Akkorde oder Gesangseinlagen haben. Dann bringen wir es zu den anderen fünf, um als achtköpfige Band zu improvisieren. Wir arbeiten immer wieder zu dritt, dann wieder zu acht und dann wieder zu dritt – und so weiter.
Wie würdest du dieses Album im Vergleich zum letzten beschreiben, was die Stimmung angeht?
Ich denke, es ist weniger nachdenklich und kontemplativ. In gewisser Weise fühlt es sich eher hektisch an. Nun, vielleicht nicht hektisch, aber es fühlt sich härter und rauer an. Es hat immer noch dieselbe Stimmung, die wir immer zu erreichen versuchen, nämlich euphorisch, aber fragmentiert – oder euphorisch, aber gebrochen. Das ist die vorherrschende Stimmung in der gesamten Musik von caroline.

Ja, unser Manager meinte: Ihr solltet sie einfach jedes Mal „caroline“ nennen – nicht einmal „caroline 2“, sondern einfach wieder „caroline“. Das haben wir dann nicht gemacht, aber das wäre auch eine gute Idee gewesen. Außerdem gefiel uns „caroline 2“, weil der Name wie eine Videospiel-Fortsetzung klingt, und ich denke, die Musik hat etwas Animiertes oder Videospielartiges. Es gibt mehr synthetische Elemente in diesen Liedern als auf der ersten Platte, also schien es angemessen, einen Videospiel-ähnlichen Titel zu haben.
Ich habe auch das Gefühl, dass das Albumcover etwas von einem Videospiel hat. Es scheint fast eine Ego-Perspektive zu haben…
Ja, das ist wahr! Es sollte ein Gefühl der Ich-Perspektive vermitteln. Wir waren uns sicher, dass wir diese Perspektive aus einem Autofenster haben wollten, mit Menschen, die irgendwie sichtbar sind – aber vielleicht ein bisschen verdeckt. Magdalena, die singt und Bratsche spielt, hat das Foto in einem Urlaub aufgenommen. Ursprünglich sollte es ein Scherz sein, aber dann dachten wir uns: Das ist besser als alle Ideen, die wir eigentlich für das Cover hatten.
HWie kam es zu der Zusammenarbeit mit Caroline Polachek?
Sie hat unsere Musik gepostet, also haben wir diese Gesangsstimme für sie geschrieben und sie einfach gefragt. Sie hat zugesagt und einen großen Teil der Harmonien und all die anderen kleinen Gesangsparts geschrieben.
Wie denkt ihr über das Post-Rock-Etikett, das eurer Band angeheftet wurde? Ist das etwas, worüber ihr nachdenkt?
Nicht mehr. Ich denke auch, dass unsere neue Musik überhaupt nicht Post-Rock ist. Für das erste Album war das wahrscheinlich die beste Beschreibung – auch wenn es nicht wirklich nach herkömmlichem Post-Rock klang. Wir haben früher viel klassischen Post-Rock geliebt, und unsere frühe Musik war davon beeinflusst, ganz klar. Aber jetzt hört sich das keiner von uns mehr an. Und ich glaube auch nicht, dass das Album so klingt.
Auch das Wort Folk wird im Zusammenhang mit eurer Band sehr oft verwendet. Wie ist eure Beziehung zur Folkmusik?
Ich höre definitiv Folk, aber unsere Musik klingt nicht wie Folk. Es gibt immer noch einige Folk-Elemente, aber die Musik funktioniert nicht wirklich als Antwort auf diese Genres.
Wie ist der Titel des Songs „Coldplay Cover“ entstanden?
Die ursprüngliche Idee für den Song habe ich vor 4 oder 5 Jahren geschrieben, und dann habe ich ihn auf meinem Laptop einfach so genannt. Das wurde dann der Name für den Song, weil wir dachten, dass er irgendwie lustig ist. Aber ja, das war nur der Name des Demos. Dasselbe gilt für „Song zwei“. Wir haben einfach die Demotitel beibehalten. Außerdem dachten wir, der Song ist irgendwie kitschig – und Coldplay ist halt auch irgendwie kitschig.
Es gibt eine Menge britischer Gitarrenbands, die alle in den letzten Jahren herausgekommen sind. Habt ihr das Gefühl, dass ihr zu einer bestimmten Szene gehört?
Ich meine, einige von ihnen sind unsere Freunde, wie die Leute von black midi und so. Es gibt eine wirklich gute Gemeinschaft von Leuten, und wir spielen manchmal mit ihnen. Wir haben Leute aus der so genannten „Windmill-Szene“ getroffen [lacht], aber wir sind nicht Teil der gleichen Szene wie sie. Da würden wir nicht dazugehören. Ich meine, caroline hat nie in der Windmill gespielt – natürlich kann man nicht wirklich Teil der Szene sein, wenn man nie in der Venue gespielt hat.

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