EM GUIDE: Econore – Make silence as loud as possible

Die Sounddesignerin und Komponistin Antonia Alessia Virginia Beeskow sprach mit Julian Flemming, einem der Labelmacher des Mönchengladbacher Kassettenlabels Econore, darüber, wie man in der “rheinischen Provinz“ ein Label betreibt, was er zuletzt auf Tape gekauft hat und warum es gut ist, nicht alles komplett durch zu professionalisieren.
18.07.2025
Written by Antonia Beeskow
Kassettenloops und -sammlung von Antonia Beeskow

REW

2002: Ich bin zehn Jahre alt. Im Frühling besuche ich mit der Schulklasse die Zeche Zollverein auf Klassenfahrt in Essen-Werden. Neben Lunchpaketen geht ein Sony-Walkman mit Shakiras “Laundry Service“ auf Kassette durch die Hände im Achterzimmer. Großes Highlight ist der Part, in dem Shakira unentwegt “Le-do-lo-le-lo-le“ singt, da sind alle textsicher. Mittlerweile eiert die Kassette, die Batterie fast leer, im Musikvideo galoppieren Pferde an der Sängerin vorbei, es ist eine eigene rauschhafte Welt für mich und meine Freundinnen, die sich für einen Moment zwischen Kopfhörern und dem Dudeln der Musik auf dem Kopfkissen zeigt.

F FWD

2025: In den vergangenen Tagen habe ich ein paar Bekannte gefragt, ob jemand ein Kassettenlabel aus Nordrhein-Westfalen kennt. Darüber bin ich auf Econore aus Mönchengladbach gestoßen. Das Label gibt es schon seit fünfzehn Jahren und hat sich auf Musik jenseits der Genregrenze spezialisiert. Ich durfte mit Julian Flemming ein E Mail-Interview darüber führen, wie man in der “rheinischen Provinz“ ein Label betreibt, was er auf Tape gekauft hat und warum es gut ist, nicht alles komplett durch zu professionalisieren.

Antonia Beeskow: Mönchengladbach, niederrheinische Enklave der experimentellen Musik. Kommst du aus der Gegend? Das Setting könnte auch aus einem Roman, der in den späten Achtzigern oder Neunzigern spielt, entnommen sein, dass ein experimentelles Musiklabel seinen Sitz in Mönchengladbach hat und nicht wie scheinbar immer in Berlin…

Julian Flemming: Jawohl, ich komme ursprünglich aus Mönchengladbach und lebe auch wieder hier seit über zehn Jahren. Mit deinem Setting kann ich sehr wohl etwas anfangen, in den Neunziger Jahren wurde ich hier sozialisiert und hab auch meine ersten musikalischen Erfahrungen gesammelt, das Gefühl aus der Zeit trage ich irgendwo immer noch in mir. Anfang 2000 habe ich dann meine ersten Kassetten-Compilations in Umlauf gebracht und angefangen, Konzerte zu veranstalten. Alles sehr verwurzelt im DIY-Punk/Hardcore. In der Zeit habe ich alle wichtigen Basics gelernt, um ein Label zu starten und Veranstaltungen zu realisieren, eine wirklich prägende Zeit für alles, was danach kam.

Mein damaliger Label-Mitstreiter Markus hat sogar für ein paar Jahre in Berlin gewohnt, das Label haben wir aber immer hier verortet. Uns hat es nie interessiert in Berlin selber etwas zu veranstalten, dort gab es schon immer genug Angebote. Hier lokal etwas zu etablieren erschien uns spannender, was rückblickend auch eine gute Entscheidung war.

AB: Auf den ersten Blick habe ich das Gefühl, dass ihr als Label einen starken Bezug zu Noise Musik habt, aber dann gibt es auch experimentelle Auskopplungen von Punk oder Ambient. Und der Name lässt ja an so ein Wortspiel erinnern aus ecology und core, das kommt wahrscheinlich nicht von ungefähr. Ich habe beim Stöbern durch den Online-Katalog eine Reihe entdeckt, die „Make silence as loud as possible“, was ich sehr schön finde, gerade wenn man auch über das Tape als Medium nachdenkt.

JF: Da ist was dran, zur Zeit der Labelgründung hatten wir beide eine ausgeprägte Faszination für Noise Musik und haben in den ersten Jahren als Duo ein paar sehr feedbackreiche Konzerte gespielt und uns auch viele andere Künstler:innen live angeschaut. Gerade am Anfang haben wir auch vieles ungefiltert einfach veröffentlicht, als reine Momentaufnahme. Unser Interesse galt aber ebenfalls den leisen Klängen, viel elektronischer Musik und allen möglichen Ausprägungen im experimentellen Band-Kontext. Uns (mikro-)genre-technisch einzugrenzen, erschien uns nie der richtige Weg. „Make silence as loud as possible“ ist im Zuge der Pandemie entstanden. Es ist eine Kassetten-Reihe mit Live-Aufnahmen von unserem jährlichen Festival Econore-Noisefest, gesammelt in einer gesiebdruckten Box. Die Illustrationen der einzelnen Cover wurden von einer befreundeten Künstlerin während der Konzerte angefertigt. Der Slogan beinhaltet ja unter anderem auch, dass es sich oft lohnt, genauer hinzuhören, selbst wenn scheinbar nichts passiert oder es auch mal laut wird.

PAUSE

Vor ein paar Tagen stand ich in einem Plattenladen vor einem Regal mit neu erschienenen Kassetten. Dabei ist das Besondere, dass einige dieser Veröffentlichungen exklusiv auf Kassette erschienen sind. Manche Cover sind alternativ zu den Platten gestaltet, manche sind dilletantisch-unkommerziell am Kopierer hergestellt oder mit Edding beschriftet, echte Unikate. Ich habe Kassetten vor zwei Jahren als physische Loops für mich entdeckt. Mit einem kleinen Rekorder überspielt man immer wieder neue Spuren und erhält siebensekündige Bandschleifen. Auf dem Datenträger ist ein Loop pro Seite möglich. Einerseits ist das eine starke Beschränkung, allerdings führt das Schrauben und Kleben, Maßnehmen zu einem persönlichen Zugriff zwischen Gestaltung, Aufnehmen und Abspielen. Vergangenes Jahr habe ich diese Methode Jugendlichen gezeigt und mit ihnen über Stunden Kassettenloops gebastelt. Im Anschluss wurden die Kassetten überspielt und wir haben mit den Loops gejammed, durch Effekte geschliffen und ein Noisekonzert aufgeführt. Dabei wurde wenig gesprochen, vor allem hörte man das Schrauben und Kleben der einzelnen Bänder.

PLAY

AB: Auf der Internetseite steht, “econore is focussing on experimental music and all kinds of weird stuff“. Was war denn in letzter Zeit das weirdeste, das ihr gemacht habt? Generell, wie produziert ihr die Kassetten? Schicken Künstler:innen bei euch die Demos einfach hin oder produziert ihr auch vor Ort? Wie gestaltet ihr das Artwork? Kommen Künstler:innen auf euch zu oder veröffentlicht ihr selbst auf Anfrage? Von wo kommen die Künstler:innen, mit denen ihr arbeitet? Ist das eher eine eingeschworene Gemeinde experimenteller Musik?

JF: Puh, das sind ganz schön viele Fragen auf einmal, werde mal versuchen sie möglichst kompakt zu beantworten. Ich glaube das weirdeste für mich ist es, überhaupt ein Interview zu führen. Habe mich dem über viele Jahre hinweg entzogen, mit wenigen Ausnahmen. Glaube es ist jetzt an der Zeit, sich ein wenig zu öffnen. Habe die letzten Jahre selbst viele Interviews geführt in meinem “Snail on a Razor“ Zine, mit Menschen, die mich faszinieren und über die ich anderweitig wenig herausfinden konnte. Im besten Falle entsteht dadurch ein Mehrwert über deren Schaffen. Und vor allem wird es schriftlich manifestiert. Deshalb ist mir auch das Printmedium an sich so wichtig. So ähnlich geht es mir auch bei Tonträgern: Ich mag die Vorstellung, dass Klang auf einem physischen Medium festgehalten ist, egal wie hoch jetzt die Auflage ist.

Da die Auflagen oft verhältnismäßig klein sind, entstehen sie meist bei mir zu Hause, das war auch schon so, als wir noch zu zweit waren. Bei größeren Auflagen habe ich die Kassetten auch extern überspielen lassen. Über die Jahre haben mir immer mehr Künstler:innen ihre Aufnahmen zugeschickt, manchmal kommt dann auch eine Kollaboration zustande. Doch oft wurden die Artists pro-aktiv von mir/uns angeschrieben. Die Artworks werden 50/50 von mir oder den Künstler:innen gestaltet, kommt ganz darauf an, ob bereits ein Artwork zum Release existiert oder es eine konkrete Vorstellung gibt. Manchmal höre ich auch die Sounds und habe sofort eine Artwork-Idee dazu, gerne auch aus recyceltem Material. Oder ich sehe ein Cover und fühle mich unmittelbar damit verbunden. Das Visuelle hat auf jeden Fall einen sehr hohen Stellenwert bei Econore.

Vor Ort produzieren ist ein weit dehnbarer Begriff. Es sind schon viele Live-Aufnahmen erschienen von Events, die Econore organisiert oder mitgestaltet hat. Darunter fallen aber auch ganz intime Proberaumkonzerte mit wenig Publikum oder es kommen ein paar Menschen zusammen und produzieren etwas vor Ort, was dann mit meist nicht viel oder gar keiner Nachbearbeitung veröffentlicht wird. Es geht ja sehr oft um den Moment. Das ist ja auch das Schöne an Kassetten: sofern ein paar davon vorrätig sind (oder auch cd-rs), können sie unmittelbar vervielfältigt werden und in kleiner Auflage in Umlauf gebracht werden. Und es gibt sogar ein paar Menschen, die das interessiert! Bei all den Releases sind natürlich auch viele Alben dabei, an denen lange gearbeitet wurde und die nicht aus dem Momentum heraus entstehen. Es gibt in der Diskographie auch viele konzeptuelle Alben, oder welche, die auf einer bestimmten Stimmung basieren.

Die Veröffentlichungskultur verändert sich stetig, das hat sie wahrscheinlich schon immer. Kann das ja auch nur aus meiner kleinen Bubble heraus beurteilen… Da fällt mir primär auf, dass alles nach und nach durchprofessionalisiert wird und Kassettenkultur, wie ich sie verstehe, einen anderen Schwerpunkt bekommt. Zum Glück gibt es immer noch Labels, die gerne mal Tapes tauschen und auch an anderen Labels interessiert sind, ohne den finanziellen Aspekt im Vordergrund zu haben. Viele Tape-Labels lagern so viele Dinge aus (Artwork, Mastering, Pressung, Drucksachen), dass sie dadurch oft gezwungen sind, hohe Preise aufzurufen. Natürlich steht dann am Ende auch ein makelloses, industriell gefertigtes Produkt, doch genau das interessiert mich nicht sonderlich, wenn es um mein eigenes Label geht. Fast jedes Release, jede Kopie wurde von mir persönlich angefertigt, das ist Teil des Prozesses.

Die Künstler:innen sind auf der ganzen Welt verteilt und das finde ich wunderbar! Es ist schon etwas besonderes, Menschen persönlich zu treffen, die ich über das Label kennengelernt habe, bzw. mit denen ich vorher nur Mailkontakt hatte. Wenn sie dann bei einer Tour in Mönchengladbach Halt machen und wir uns dann Face-to-Face austauschen können. Oder auf Leute in einer fremden Stadt zu treffen, die das Label aus irgendeinem Grund kennen, da gab es schon irre Begegnungen! Doch am Ende ist es doch eine sehr überschaubare Gemeinschaft und es ist immer wieder faszinierend, welche Personen sich schonmal begegnet sind und was für endlose Querverbindungen es doch gibt… das gibt einem auch ein sehr familiäres Gefühl. Das ist unbezahlbar!

Econore Logo

AB: Was war die letzte Veröffentlichung, die du selbst gekauft hast? Ich war letztens auf einem Konzert von NY Graffiti und habe im Anschluss einfach eine seiner Kassetten noch mitgenommen.

JF: Mein letztes, gekauftes Tape ist “Unnameable Glory“ von Plume Girl, gerade erschienen auf dem sehr empfehlenswerten slowakischen Label Mappa. Es dürfte im Briefkasten gelandet sein, wenn ich in 4 Wochen wieder aus dem Urlaub zurück bin, da freue ich mich sehr drauf! Also bei Bandcamp findest du immer noch ziemlich viele Kassetten, die interessant sind und ich würde einfach mal behaupten, dass dort auch die meisten in Umlauf gebracht werden. Wobei sich das auch durch stetig steigende Material-, Porto- und Anbieterkosten alles wieder relativiert. Ich merke schon, dass sich viele Akteure von dieser Plattform wieder loslösen möchten und nach Alternativen Ausschau halten, aber das ist gar nicht so einfach… Versuche selbst auch wieder vermehrt meine Tapes in Plattenläden unterzubringen, solange es noch welche davon gibt. Am liebsten kaufe ich Kassetten bei meinen Reisen und Konzertbesuchen, denn was du dort findest, ist meist nicht planbar. Ich kann aber auch nicht verleugnen, dass mich manche Funde im Internet auch wirklich sehr erfreuen!

AB: Was ist dein Lieblingslabel derzeit?

JF: Grisaille, La République des Granges, Discreet Music, Coherent States, Kringloop, Dead Gods, Fougère Musique, Sloow Tapes, Recordings for the Summer. Die Liste ist endlos!

STOP

This article is brought to you by ON Cologne as part of the EM GUIDE project – an initiative dedicated to empowering independent music magazines and strengthen the underground music scene in Europe. Read more about the project at emgui.de

Funded by the European Union. Views and opinions expressed are however those of the author(s) only and do not necessarily reflect those of the European Union or the European Education and Culture Executive Agency (EACEA). Neither the European Union nor EACEA can be held responsible for them.