“Eine Idee kann nur so radikal sein, wie sie Abstand zu sich selbst bewahrt.” – Thomas Brinkmann im Gespräch

Du hast ja eigentlich Kunst studiert. Man hört diesen konzeptuellen Zugang heraus. In welchem Medium hast du gearbeitet?
Ich habe Maschinentheorie, Poetik und Ästhetik studiert. Da gibt es also eine Verbindung.
Außerdem habe ich Bildhauerei studiert.
Du hast dann aber das Kunst-Studium abgebrochen?
Nein, nicht wirklich abgebrochen. Ich wurde rausgeschmissen.
Aber dieser Minimalismus und die serielle Kunst – da gibt es in deiner Musik ja schon einen Bezug zur Bildenden Kunst, oder?
Ja und nein. Lustig, weil in dem Moment wo ich da gegangen worden bin, ging diese Musikkiste überhaupt erst auf. Das war in den 1990ern und mit dem Rauswurf kamen die ersten Veröffentlichungen auf Profan. Das stimmt schon. Die “Studio1-Variationen” haben natürlich auch so einen Zugang. Und auf der anderen Seite war die Kunst, wie wir das betrieben haben, sehr verkopft.
Wer ist wir?
Da gab es die Wiener Gruppe, also nicht in Bezug auf die Wiener Gruppe jetzt, aber (Oswald Anm.) Wieners Gruppe. Da wurde sehr viel hinterfragt und das hatte zur Folge, dass man selber nicht mehr dazu kam, an den eigenen Sachen zu arbeiten. Das gelang relativ selten. Da war man zu belastet im Nachdenken darüber. Und die Musik war wie so eine Befreiung daraus. Da fragte keiner. Ich hatte da auch keinen akademischen Background und galt in meiner Familie mit Abstand als der Untalentierteste was Musik anbelangt.
Kommst du aus einer Musikerfamilie?
Naja, alle konnten irgendwas. Mein Vater konnte Posaune und dann hatte ich diverse Vettern und die waren richtig gut auf dem Klavier. Und eigentlich konnte jeder etwas besser.
Die Platte “A 1000 Keys” greift das nochmal auf.
Weil du durch die Maschine vortäuschst, du könntest spielen?
Ja, das ist so eine Erinnerung. Ich hab das Instrument ja auch gespielt, wurde mehr oder weniger dazu gezwungen. Was ich damals nicht wusste, ist dass es eine Legasthenie gibt, die Notenlesen betrifft und ich bin also ein absoluter Notenlegastheniker. Ich hab überhaupt keine Schwierigkeiten Texte zu lesen, aber wenn ich Noten vor mir sehe, kann ich nichts damit anfangen. Und das führte dazu, dass ich alles auswendig lernen musste, was ich jetzt auch nicht gerade gut konnte. Ich hatte auch Klavierunterricht und das ging alles wahnsinnig langsam. Ich musste dann immer durch diese ganzen Balken da durchgehen mit diesem Satz “Es geht hurtig durch Fleiß, Fritz aß Zitronen-Eis”, auf dieser Basis lief jede einzelne Notenbestimmung, die dann auf diese Tasten übersetzt werden musste.
Und deine Eltern haben das nicht mitbekommen?
Nein, die waren natürlich sehr unzufrieden mit der Investition und das führte auch dazu, dass ich dann auch ab und zu eine geknallt kriegte, weil sie dachten, das wäre Bösartigkeit meinerseits, aber das war es natürlich nicht. Das führte dann auch zu einem großen Hass gegenüber diesem Instrument. Und auf der anderen Seite hatte mein Großvater väterlicherseits ein Harmonium. Da gab es bereits Momente, wo ich mich mit einem Instrument versöhnen konnte. Da kann man unten trampeln und oben kann man spielen und die Herausforderung in diesem Instrument lag für mich darin, möglichst viele Noten auf einmal zu spielen. Und je mehr Register man zieht, umso mehr muss man treten. Für mich war das wie ein Flugzeugkasten – das hatte was mit Fliegen zu tun. Und es war wahnsinnig schwer diese Maschine anzustarten, zum Landen bin ich nie gekommen, es ging immer nur ums Starten. Und da hab ich dann getrampelt wie ein Wahnsinniger.
Wie alt warst du da?
Vielleicht 6 oder 7.
Und jetzt kommst du auf eine andere Art wieder zu dem Instrument zurück?
Ja, da ist eine offene Rechnung. Mir haben ja auch viele Leute davon abgeraten, das mit einem Klavier zu machen. Marcus Schmickler, beispielsweise. Der meinte, das ist schon eine gute Idee, aber warum machst du das mit dem Klavier? Das musste aber sein. Das war schon wichtig, weil das eben auch so dieses Standardinstrument dieser ganzen Unterjochung ist.
Aber auch diese romantischen Vorstellung von Genie und Virtuosität steckt da drinnen.
Ja, ganz viel Schöngeistigkeit. Und dann hat es auch die entsprechenden Zertrümmerung dieser Instrumente gegeben. Fluxus und so. Und es geht dem Ganzen in der Popkultur schon was voraus, ich glaub bei Bill Halley Konzerten sind auch schon Klaviere zertrümmert worden und das lange bevor die Kunstszene das für sich entdeckt hat.
Wobei es bei dir ja nicht eine Zertrümmerung ist.
Nein, es ist auch keine Dekonstruktion. Man gibt sich schon in diese Disziplinierung hinein und respektiert im Grunde genommen auch diese Klassik, die da drinnen liegt. Von Notationen bis hin zum Sound und setzt dem Ganzen sogar noch eins oben drauf.

Viele deiner Arbeiten basieren auf einem stark seriellen Moment. Gibt es da ein demokratisches Moment für dich?
Nein… am Ende weiß ich nicht. Ich trau dem Ganzen nicht – dem Politischen.
Aber gleichzeitig drückst du in all deinen Arbeiten, egal von wann, schon eine Haltung aus. Und eine Haltung einzunehmen und zu transportieren – auch über Techno – das ist für mich dann schon automatisch politisch.
Das ja. Techno war erstmal eine politische Bewegung.
Aber dennoch zieht sich dieser Anspruch doch irgendwie durch dein ganzes Oeuvre, bis zu den Arbeiten jetzt, die sehr streng und konzeptuell sind. Ich frage mich, wie du das machst. Auch bei den souligeren Geschichten ist es trotzdem so, dass ich spüre, dass es da um eine Haltung geht.
Hört sich gut an.
Aber du bist ein politischer Mensch, oder?
Ja und nein. Also ich hasse das. Weil es betrifft einen ja. Und das mit der Haltung ist ja schon richtig. Das ist immer wichtig gewesen. Das fing mal an mit diesem Satz “When attitude becomes form.” von Harald Szeemann. Also mit dieser Ausstellung eigentlich. Und das interessiert mich.
Ich fande bei deinem Maschine-Track, da geht das für mich auf, da bedingen sich Inhalt und Form, das wird gleichwertig. Für mich findet sich im Techno selten dieses Moment, wo das auf diese Art übersetzbar wird, diese Formel.
Der Maschine-Track auf Ester? Es gibt ja zwei. Der eine “Ich will eine Maschine sein, Arme zu greifen, Beine zu gehen, kein Schmerz, kein Gedanke.”
“Ich glaube, ich habe keine Platte öfter gehört als Hamletmaschine.”
Ja, den meine ich.
Es gibt aber auch einen zweiten, wo Oswald Wiener mit einem Stück Kreide auf der Tafel rumhämmert und sagt: “Struktur einer Zeichenkette ist eine Turing-Maschine, die diese Zeichenkette interpretiert oder akzeptiert.” Für das Stück finde ich gilt das noch mehr. Weil da nochmal einer von diesen Click-Moves darunterläuft, der sich die ganze Zeit gegen diese andere Rhythmik verschiebt. Und das, was Oswald da sagt und das, was passiert, geht auch gut übereinander. Das mit der Maschine ist Heiner Müller – “Hamletmaschine“. Ich glaube, ich habe keine Platte öfter gehört als “Hamletmaschine”. Das durfte man den Techno-Leuten ja auch nicht erzählen. Weil die waren ja immer extrem gegen Einstürzende (Neubauten). Also ich weiß nicht, hier in Wien vielleicht nicht, aber in Köln war das so. Also ich komme aus einer anderen Generation. Meine Sozialisation mit Musik liegt in den 70ern. Die meisten die da damals damit angefangen haben, kommen aus den 80ern.

Und wie bist du da sozialisiert? In welcher Szene warst du da?
In gar keiner Szene. Da hast du dann Leute in der Schule, die meistens älter sind, die geben irgendwas vor. Und da war viel Bombast-Rock, das war schwer angesagt, von King Crimson und Yes. Davon musste man sich mal befreien. Und auf der anderen Seite gab es auch die Szene mit der ich zu tun hatte, die sehr so auf so Psychedelic-Sachen abfuhr. Viel deutsches Zeug und dann gab es ja noch ein paar Sachen, die aus dem englischen Raum kamen… Kraftwerk gab’s natürlich auch. Wir haben damals immer John Peel gehört. IFBS also dieser Soldatensender für die Ami-Leute aus England, die in Deutschland stationiert waren. Die hatten eine Affinität zu deutscher Elektronik. John Peel und Alan Banks – der hat lange Jahre den Rockpalast gemacht. Das waren so Leute, die haben einen schon begleitet. Ich bin viel Taxi gefahren, nachts, und da hab ich mich immer drauf gefreut, wenn das kam. Das trug einen sonst wo hin. Das war wichtig. Und auf der anderen Seite, in der Stadt wo ich war, gab es einen Club, der hieß Soul Center. Dieser ganze intellektelle Kram, der so ablief, der relativierte sich da. Zum Beispiel der beste Buchhändler der Stadt, der ging da hin und da traf man sich.
Warum wirst du von Leuten schon seit langem als Techno-Philosoph bezeichnet? Warum ist das auf dich draufgefallen, wenn du dich dann davon distanzieren möchtest, dass du zuviel Konzept mitkommunizierst?
Klar ist das ein Ausgangspunkt, ein Rahmen, den ich mir selber gebe. Der ist schon wichtig. Dann kommt aber irgendwas dabei raus.
“es ist alles synästhetisch”
Wenn ich dein Cover von “What you Hear” ansehe, dann frage ich mich ob du an Synästhesie glaubst? Also ob du bestimmten Farben bestimmte Resonanzen zuordnest und die auf den Körper rückkoppelst?
Ja klar, es ist alles synästhetisch. Logisch, aber das frage ich mich nicht groß. Das ist so.
Du hast ja auch irgendwie die ganze deutsche Kunstfraktion da im Nacken. Ich denke an Kippenberger oder auch den Schweizer Dieter Roth z.B. Wieviel Humor und Ambiguität kann man da reinholen. Du kostest das ja ziemlich aus.
Das ist übrigens ganz schön – mit Dieter Roth.
Aber das ist für dich schon auch ein Ausweg. Du arbeitest schon sehr streng und kompromisslos, aber dass du immer so einen Twist drinnen hast. Egal ob mit den Covers oder über die Titel – du machst eine andere Ebene auf und das rettet dich dann. Also dass du nicht so todernst rüberkommst, oder dich selbst zu ernst nimmst.
Genau. Eine Idee kann nur so radikal sein, wie sie Abstand zu sich selbst bewahrt. In dem Moment, wo ich diesen Abstand nicht mehr drinnen habe, stürzt das ab. Das sind immer nur provisorische Momentaufnahmen. Wer weiß gegen welches Vakuum du da morgen ankämpfen musst. Ich glaub ja auch immer noch, die erste Aufgabe ist, und egal ob Musik oder Bildende Kunst, dass sich da irgendwas auch wieder erneuert.
Das ist im Techno ja ganz schwer.
(Lacht) Ja, das ist jetzt vorbei.
Glaubst du?
Aber das Ding an sich war was neues.
Bis zu welchem Punkt?
Ich glaube, als ich damit angefangen habe, war alles gesagt. Also wenn wir jetzt ganz nett sind, 2000, aber ich glaube ’97.
Was würdest du dann den jungen Techno-Produzent:innen sagen?
Nix.
Aber die sind alle frustriert.
Die dürfen ja. Ja, natürlich. Ich war mal mit Daniel Miller auf einem Rockkonzert und da hab ich auch gesagt “Das hab ich ja schon 80.000 mal gehört. Das ist immer der gleiche Scheiß.” Er sagte, “Kuck mal, was das für ein Publikum ist. Die wissen alle nicht, was du weißt. Und die hinterfragen das nicht auf diese Art. Für die ist das jetzt das Ding. Und das ist ok.” Ich finde da hat er recht.
Aber als Musiker:in oder Produzent:in hast du ja ein Bewusstsein für das, was es gab.
Ja, natürlich. Du kannst nicht sagen, ok ich bin jetzt wieder naiv. Das ist ja auch das Drama. Viele Leute können das schon. Die bleiben dann einfach auf ihrem Erfolg hängen.

“Man ist meistens im Konflikt mit dem, was man macht.”
Das ist ja auch die Frage bei dir. Weil du ja auch erfolgreich warst und bis zu einem gewissen Grad Teil der Musikindustrie. Wo ist der Punkt, an dem man fühlt, dass man vereinnahmt wird und was macht man dann dagegen?
Nein, ich habe mich nicht vereinnahmt gefühlt, weil ich fast alles selber gelabelt habe. Man ist meistens im Konflikt mit dem, was man macht. Man kämpft schon mit diesem ganzen Material. Das ist nichts, was einem so widerspruchsfrei von der Hand geht. Manchmal sind es ja ganz einfache Sachen. Wie bei den Variationen. Da nimmst du einfach das Material von Wolfgang Voigt und spielst es zweimal, nur ein bisschen langsamer. Da fragst du dich ja auch, wo bleibt da die handwerkliche Ethik?
Hast du dich das damals wirklich gefragt, oder haben die Leute dich das gefragt?
Ja, nein, das ist so ein grundsätzliches Ding. Wenn man in einer protestantischen Familie groß wird, dann ist diese Arbeits-Ethik in einem drinnen. Die ist verinnerlicht. Und du kannst das auch daran sehen – das Problem haben fast alle, die Techno machen – die stehen da hinter ihren Maschinen, haben einen Schirm vor und kucken nicht ins Publikum. Und die machen da nicht so viel. Es gibt ganz wenige, die ich erlebt habe, die das souverän lösen.
Die Klavierplatte – ich hab gedacht, die fliegt mir um die Ohren.
Aber die Resonanz war gut, oder?
Ja, aber ich war überrascht. Ich dachte, die bringen mich um.
“Von Techno hab ich die Schnauze jetzt voll.”
Mich hat sie auf Anhieb gehabt.
Von Techno hab ich die Schnauze jetzt voll. So richtig. Ich habs ja auch länger getrieben als die meisten anderen, schon frühzeitig erkannt auch.
Legst du auf auch?
Nie. Also live ja. Aber da spiele ich meine Sachen und sonst… Wann hab ich das letzte Mal aufgelegt? Ich glaube in Kopenhagen, 1997. Was aber toll war, weil ich da auch wieder nur fünfzehn Platten aufgelegt habe.
Gibt es Releases von dir, mit denen du überhaupt nicht mehr kannst?
Ja natürlich! Jede Menge. Aber das gehört ja auch zu dem Spiel dazu. Was interessiert mich der Scheiß, den ich gestern gemacht hab? Ne, das ist dann eventuell für einen Moment oder eine bestimmte Situation, bestimmtes Jahr, das mag dann da funktioniert haben, oder vielleicht auch nicht. Es gibt jetzt auch Platten, bei denen ich von vornherei wusste, das muss jetzt nicht sein. “Lucky Hands” ist ja auch so. Da sind ja gruselige Stücke drauf und das wusste ich auch.
Deine ganze Arbeit basiert ja auf dem Loop. Selbst wenn du, wie auf deinem letzten Album “What You Hear” Atmosphären gestaltest. Du würdest nie aus dem Loop rausgehen.
Nein, der Loop, der gibt das vor. Natürlich geht dir der Loop auch irgendwann auf den Zeiger und dann löst man ein Stück weit die eigene Idee auch wieder auf.
Aber wirklich weggegangen vom Loop bist du nie, oder? Du brauchst ihn irgendwie, um damit arbeiten zu können. Er ist dein Material.
Naja, über den Loop erfahren wir alles.
Steckt da der post-strukturalistischer Gedanke von Differenz und Wiederholung drinnen?
Ja, könnte man so sagen, wenn man’s kompliziert machen will.
Nein, aber so würde ich verstehen, warum alles auf einem Loop basiert. Erfahrung, das Leben generell.
Ja, auch das Lernen, das ist Wiederholen wiederholen. Es gibt auch viele Glücksmomente, die sich daraus ergeben, Wiedererkennung. Ich mag den Loop ganz gern. Es könnte ja auch noch so eine Essenz des Loops geben, die sich dann auflöst.
Vielen Dank für das Gespräch!


Thomas Brinkmann

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