Den Moment zelebrieren – im Gespräch mit Karo Preuschl

Schön ist es hier. Man hat Platz und Licht. Kann man auch laut sein?
Es ist halt einfach eine Wohnung in der ich arbeite. Wenn ich Schlagzeugerin wäre, dann wäre es eher schwierig, aber so geht es. Sixtus (Preiss) hat drüben ein Klavier bei sich und wenn er nicht da ist, dann ist das Erste, was ich mache, dass ich zu ihm rübergehe und Klavier spiele. Das geht schon.
Willst du vielleicht mal erzählen, wie du überhaupt zur Musik gekommen bist? Dein Vater war Orchesterwart, und ich vermute er hat auch Musik gemacht? Hat Musik in deiner Familie eine große Rolle gespielt?
Ja. Also mein Papa ist eigentlich Musiker und der hat auch in einem Orchester gespielt, früher, in Baden. Aber das hat ihn so angekotzt, weil es war so ein Operettenscheiß und das hat er nicht ausgehalten. Und dann hat er gekündigt und dann war meine Mama aber ganz nervös und hat gesagt, du kannst doch nicht eine Fixanstellung kündigen und dann hat er eben diesen Job im Burgtheater angenommen. Und dann hat er einfach quasi nebenbei als Musiker nur noch die Projekte gemacht, auf die er halt Lust hatte. Und mein Papa macht das nach wie vor, er spielt Konzerte, ganz viele. Also er ist in einer Klezmer-Band, er ist in einem Ensemble, wo sie so klassische Musik spielen, er ist in einer mexikanischen Band. Und früher war er in einer Tango-Band.
Und welches Instrument spielt er?
Kontrabass. Und mein ältester Bruder ist auch Musiker und meine anderen Brüder haben auch Musik gemacht. Mein jüngster Bruder spielt Trompete. Ich bin einfach, ja, bin da in eine Familie hineingeboren worden, in der die die ganze Zeit irgendwas mit Musik machen. Also es war einfach immer schon da. Bei uns stand halt ein Klavier. Und ich habe einfach immer auf diesem Klavier gespielt. Ich habe auch eine Zeit lang Geige gelernt, aber das habe ich gehasst. Das habe ich schnell wieder gelassen… Also allein schon, dass man das auspacken muss: Zuerst mal aufmachen, dann muss man es stimmen. Das konnte ich nicht, musste irgendwen fragen, hier kannst du das für mich stimmen. Das war mir schon viel zu umständlich. Bogen spannen, mit Kolophonium einreiben… Viel zu viel Arbeit. Beim Klavier musste ich mich nur hinsetzen und dann kann es schon loslegen.
Wenn es gestimmt ist.
Das ist mir egal.
Und wie kam das mit dem Gesang dann?
Das kam automatisch. Ich habe eine Kassette gefunden bei meinen Eltern, da stand drauf, „Karolinas Kindermusik“. Die habe ich mitgenommen. Und dann habe ich die digitalisiert und mir angehört. Magst du einen Tee? Und da sind eben Aufnahmen zu hören, die ich selber gemacht habe als Sechsjährige mit dem Fischer-Price-Rekorder, wo ich einfach Klavier gespielt habe und dazu gesungen. Und ein paar Auszüge davon habe ich für das Zeitgeist-Soundpiece verwendet, das ich für Liesl Raffs Installation auf der Kunstbiennale in Südkorea gemacht habe. Das ist sehr schön geworden, finde ich. Ich mag es sehr gerne.

Jetzt hatten wir ja gerade einen Spaziergang im 8. Bezirk gemacht. Was ist denn für dich so das Besondere am 8. Bezirk, und vielleicht auch noch den hier angrenzenden Gürtelbereich vom 16. Bezirk hinzugenommen? Du bist hier ja auch aufgewachsen…
[Denkpause] Es ist schwierig zu beantworten, weil ich eben hier aufgewachsen bin… weil es mir vertraut ist. Es ist halt ein Bezirk, also so wie ich schon beim Spaziergang sagte, der ist sehr posch. Die meisten Leute, die im 8. Bezirk wohnen, sind eher so rich people und so Bildungsbürgertum und es gibt sehr wenig…
Proletariat?
Ja, und auch Menschen mit Migrationshintergrund gibt es wenig. Aber es ist ja ganz witzig, sobald man über den Gürtel geht, ist es ja genau anders. Ja, das ist witzig und vielleicht besonders. Aber ansonsten muss ich sagen, finde ich den Bezirk uninteressant und fad.
Aber hier ist auch dein Studio in der Blindengasse, das ist ja eigentlich super von der Lage, weil man muss nur über den Gürtel gehen, und dann ist man im 16. Bezirk. Und dann hat man wieder beide Welten sozusagen.
Voll, genau. Ich habe auch das Gefühl gehabt, als ich hier gewohnt habe, dass es mehr Fluktuationen vom 8. in den 16. Bezirk gibt, jetzt so tagsüber und überhaupt, als umgekehrt.
Und ist Wien für dich, du hast ja jetzt erzählt, dass du auch so viele Geschwister hast und ihr lebt alle noch hier. Ist Wien jetzt für dich so eine Komfortzone?
Also mein ältester Bruder lebt in Frankreich. Der hat eine Französin geheiratet, aber ja, es stimmt schon. Wien ist halt sehr gemütlich. Aber, das habe ich zum Beispiel jetzt auch wieder gemerkt, wo ich weg war, dass es hier einfach das beste Trinkwasser gibt, das einfach aus dem Wasserhahn kommt. Das ist das Ärgste, das ist so toll, also ich schätze das extrem und es ist so eine, ja, eine Aufwertung vom Alltag, der Lebensqualität.
Aber vor allem ist es ja so, dass man an dem Ort, wo man aufgewachsen ist, jetzt auch mit vielen Geschwistern und so weiter, ja, dass man da einfach viele Freunde und Kontakte und Netzwerke hat.
Ja, voll. Also es gibt Vor- und Nachteile.
Das stimmt, es hat auch Nachteile.
Genau, also mir ist Wien schon oft sehr am Oasch gegangen.
Wolltest du schon mal weg und wenn ja, wohin?
Ja, ich habe mir schon öfter gedacht, dass ich gern mal weg gehen würde. Auch, um nur mal weg gewesen zu sein. Aber immer, wenn ich dann drüber nachgedacht habe, wohin, dann ist mir nichts eingefallen, was besser, also angenehmer ist als Wien.
Was? Da ist dir nichts eingefallen?
Nein, irgendwie nicht. Es gibt es bestimmt Orte, wo im Winter besseres Wetter ist. Aber da kann man dann vielleicht das Wasser nicht trinken.
“wie steht alles in Relation zueinander?”
Ja. Das stimmt natürlich. (lacht) Eigentlich bietet sich das Studium ja für einen Auslandsaufenthalt an. Und du hast Malerei im Kontext studiert? Kontextuelle Malerei, was ist das?
Also, ich wusste halt, weil ich ja aus einer Musikerfamilie gekommen bin, jetzt so ein Instrument urgut können, das hat mich nicht interessiert. Aber ich wusste irgendwie, ich will Kunst studieren und Kunst machen und deswegen habe ich mich auf den Kunstuniversitäten beworben, aber wurde halt nicht genommen. Bis mir dann irgendwann ein Freund, der auf der Bildenden war, den Tipp gegeben hat, dass ich mich mal umschauen soll, was die Professor:innen selber so machen und mich bei der Person bewerben soll, deren Kunst mich interessiert. Und das habe ich dann gemacht und dann bin ich darauf gekommen, dass die, bei denen ich mich beworben hatte, dass mich deren Arbeiten nicht interessieren. Und die Arbeiten, die mich am meisten angesprochen haben, waren die von Ashley Hans Scheirl. Und die hat eben die Kontextuelle-Malerei-Klasse geleitet, war da die Professorin und bei der habe ich mich beworben und das hat auf Anhieb geklappt, weil es auf Gegenseitigkeit beruhte. Es ist so witzig, weil damals, als ich noch studiert habe, wenn ich gefragt wurde, was machst du, habe ich gesagt, ich studiere Kunst und wenn ich dann gesagt habe, dass mein Fachbereich Kontextuelle Malerei ist, dann haben alle gedacht, dass ich male. Und dann war ich so: nein. Und dann waren sie urverwirrt. Und ich habe dann herumgeredet, dass man nicht malen muss und das aber trotzdem studieren kann. Und dann habe ich versucht zu erklären, um was es eigentlich geht und dass es mehr um die inhaltlichen Themen geht oder die Art und Weise, wie du an eine Sache herangehst. Und das war einfach zu kompliziert. Und dann habe ich mir irgendwann gedacht, ich sage einfach, dass ich mit der Stimme male. Und das war dann okay.
Ich bin so dankbar, dass ich das Glück hatte und genau zu dem Zeitpunkt studieren wollte, wo Ashley Professorin war, weil sie war die beste Professorin ever. Ich finde sie nicht nur als Künstlerin super, sondern vor allem als Menschen. Und das hat mir bei allen anderen Professor:innen gefehlt. Weil sie war sich für nichts zu schade, wenn wir Rundgang hatten, hat sie mit uns aufgeräumt. Sie hat die Wände mit uns weiß ausgemalt. Sie hat, wenn es Konflikte gab in der Klasse, dann hat sie sich darum gekümmert, dass jemand von außerhalb kommt und einen Workshop hält zum Thema Konfliktlösung, Konfliktbearbeitung oder anti-diskriminierender Kommunikation. Und sie hat sich eingesetzt für Leute und hat das Gespräch gesucht. Also ja, das war einfach extrem toll.
Das klingt sehr gut und ungewöhnlich. Irgendwo habe ich gelesen, dass du dann deine Diplomarbeit mit Klang und Stimme gemacht hast und gar nicht unbedingt mit Malerei, was ja auch schon anklang. Worum ging es in deiner Diplomarbeit?
Ja, ich habe nie gemalt [lachen]. Meine Diplomarbeit hieß „Breastbeat“, aber da habe ich mir nicht nur auf die Brust geklopft und dabei dann einen Beat gemacht, sondern ich habe auch noch Lautmalerei mit Drone-Sounds dazu gemischt; und dann noch einen Text von mir hinzugefügt. Und es war so witzig bei dem Ganzen, weil ich habe mir so sehr gewünscht in meiner Diplomarbeit, dass ich ein konkretes Thema finde, von dem ich ausgehen kann. Das ist mir aber nicht gelungen, weil ich hatte eher so diese Zerstreutheit und ich hätte so gern gehabt, dass sich diese Zerstreutheit bündelt.
Und macht man Praxis und Theorie oder nur Praxis?
Also die Prüfung läuft so ab, dass du das machst, was du machst und dann musst du drüber reden und dann stellt dir die Kommission Fragen, so war das. Das war auch der Hauptgrund, warum ich Kunst studiert habe. Nein, Bullshit. Aber mitunter… ich bin nicht geschaffen dafür lange wissenschaftliche Texte zu schreiben, mit diesem Reglement. Ich kann mich nicht daran halten. Ich kann es gern lesen oder korrigieren, habe ich auch schon gemacht. Aber ich kann so etwas nicht selber schreiben.

Ja, das finde ich auch gut und richtig, dass man das nicht überall machen muss. Das ist auch gar nicht notwendig, um gute Kunst zu machen… Du bist mir zum ersten Mal aufgefallen, eigentlich durch Wien Diesel. Und ich finde es so schade, dass es das nicht mehr gibt, ich fand das ein tolles Projekt. Ich war ein Fan, haha.
Ich auch.
Zum Glück seid ihr in meinem Buch dokumentiert. Und was ist da passiert? Warum ist das nicht weitergegangen? Das war so vielversprechend…
Äh, ja. Es gab leider persönliche Auseinandersetzungen, die sich leider nicht mehr richten haben lassen. Also musikalisch war es eine tolle Symbiose. Wir waren uns, was das Künstlerische und das Musikalische angeht, sehr einer Meinung, also wir hatten denselben Sinn für Ästhetik. Das war urtoll, ja.
[Seufzen] Naja, du hast ja noch viele weitere Projekte zum Glück. Wie ging es denn weiter? Bzw. war MC Rhine zuerst da und dann Wien Diesel und danach dann Coco Béchamel, oder?
Ja. Also, ich war jetzt, äh, Kunststudentin und bin eher davon ausgegangen, dass ich so vermehrt Videoarbeiten machen werde, ich dachte eigentlich, ich würde Videokünstlerin werden [lacht]. Und dann bin ich aber eben mit meinem damaligen Freund, mit dem Leo, irgendwie immer mehr in diese Musikbranche dann reingerutscht, weil ich hatte, also ich hab damals für sie die Visuals gemacht, mit eben meinen Videoarbeiten.
Wen meinst du mit „sie“ gerade?
Lukas König und Leo Riegler, Koenigleopold als Duo, und für die hab ich Visuals gemacht. Und dann haben mich der Luki und der Leo gefragt, ob ich nicht auch mal bei ihnen rappen möchte. Und dann hat das angefangen mich zu interessieren. Und dann war ich halt Rapperin und irgendwann hat mich das aber nicht mehr interessiert.
“voll schlechte Beats mit urschlechten Sounds”
Aber warst du eher Rapperin im Kunst-Kontext, ich denke an Klit Clique oder warst du richtig Teil der Hip-Hop-Szene?
Nein, Nein. Aber ich hab schon ein paar Solo-Gigs gehabt und die sind immer gut angekommen, obwohl ich so drauf geschissen hab, irgendwas qualitativ hochwertiges zu machen. Also ich hab mir damals die Loop-Station gekauft und da waren schon so Presets drauf, so voll schlechte Beats mit urschlechten Sounds und dann hab ich die einfach benutzt… Ich war zu faul, jetzt selber einen Beat zu machen. Ich hab einfach paar Sounds dazu gemacht und hab dazu gerappt und die Leute sind voll abgegangen. So absurd.
Und MC Rhine und Coco Bechamel, gibt’s die noch oder sind die jetzt Vergangenheit?
Nee, Vergangenheit, ja. Also ich hab dann ganz bewusst beschlossen, dass ich nicht mehr rappen möchte. Das war dann die Zeit so 2016, wo ich angefangen hab, mich eben für Modular-Synthesizer zu interessieren und für die experimentelle Musikszene in Wien. Das war auch die Zeit, wo ich mich dann mit den Leuten, die halt hier in Wien in der experimentellen Musikszene tätig sind, angefreundet hab. Ich bin auf deren Konzerte gegangen. Also mich hat dann das interessiert. Also ich kann mich erinnern, dass ich damals so überfordert war von sehr vielen Sounds, die schon entweder auf irgendwelchen Softwares drauf waren oder eben bei irgendwelchen Keyboards und Synthesizern, weil die halt schon so überladen waren für mich oder für mein Verständnis. Und deswegen bin ich so sofort angesprungen auf Modular-Synthesizer, weil ich konnte von Grund auf einen Sound selber aufbauen. Also ich kann einfach mit einem banalen Sinuston anfangen und selber bestimmen, wie der sich dann entwickelt. Und dann wollte ich nur noch das machen.
Wo was zu Ende geht, kann was Neues kommen. Und dir mangelt es ja nicht an Ideen, Kooperationen und Projekten. Die sind schon recht zahlreich, muss ich sagen. Auch wenn man bedenkt, dass du kaum Releases hast. Und bei den wenigen Sachen, die man jetzt so online von dir findet muss man mal festhalten, das es ein Bruchteil von dem ist, was du alles gemacht hast. Von den ganzen vielen Konzerten, die ich von dir gesehen habe, ist da kaum irgendwas zu finden. Also du musst doch wahnsinnig viel Material in der Schublade haben?
Ich bin eben sehr unprofessionell, weil ich nichts festhalte.
“Wenn alles möglich ist und ich jederzeit im Moment entscheiden kann, gibt mir das Sicherheit.”
Das ist wirklich schade meine Liebe. Warum ist das so?
Ich habe so eine komische Angst, das ist gerade sehr präsent bei mir und sehr aktuell. Seit ein paar Tagen bin ich gerade… rattert es bei mir so ununterbrochen… Dieses Verschwenderische, wovon ich geredet habe, beim Zeitverschwenden, beim Rauchen. Das ist sehr in mir drinnen und das hat sehr viel damit zu tun, dass ich den Moment immer sehr zelebriere und den Moment so sehr genieße, weil ich ihn auch gehen lasse und nicht festhalte. Und deswegen macht es den Moment für mich so wertvoll, weil ich dann weiß, dass es nur diesen Moment gibt, wo das genau jetzt passiert und nur die, die da sind, können das so mitfühlen. Das ist jetzt quasi so ein schöngeredeter, positiver Aspekt von dem Ganzen. Aber es gibt auch einen anderen, nämlich eine Angst. Dass ich halt Angst davor habe, Entscheidungen zu treffen, für die ich mich dann auch verantworten muss. Und das ist dann zum Beispiel der Fall, wenn ich etwas festhalte oder eben sogar etwas planen muss.
Meinst du Zwang, dass du musst dich dann auch damit konfrontieren musst?
Ja, genau. Also, wenn du etwas einfach im Moment machst und das Wasser wieder verpufft, dann war alles eine Erinnerung, aber die ist auch sehr… Erinnerungen sind ja sehr verformt und da geht es ganz viel um Gefühle und Stimmungen, als darum, wie es tatsächlich war. Und wenn ich aber etwas festhalte oder sogar etwas aufnehme, ähnlich wie jetzt beim Soundpiece, das ich für Liesl gemacht habe, da ist es mir sehr schwer gefallen, weil ich sehr intuitiv arbeite und eben Impulsen folge. Und da muss ich aber dann Entscheidungen treffen und die werden immer von jemandem abgerufen und sind dann nicht so interpretierbar. Sondern das ist dann immer genau so, wie ich es da entschieden habe. Und das ist schon etwas, da muss ich dann voll dahinter stehen und mich verantworten für diese Arbeit. Und das ist irgendwie etwas, womit ich noch einen Umgang lernen möchte, weil ich das eigentlich schon können will.
Wenn ich das jetzt richtig verstehe, es klingt so als wäre alles, was du machst, improvisiert. Aber es gibt dabei doch auch kompositorische Elemente?
Natürlich. Ich glaube, ich muss noch von einem anderen Punkt anfangen: Ich habe schon öfter mit Leuten zusammengearbeitet, die, wenn es darum geht, dass man alles offen lässt und eben der Improvisation Raum gibt, dass sie das nervös gemacht hat. Und bei mir ist es genau umgekehrt. Wenn alles möglich ist und ich jederzeit im Moment entscheiden kann, gibt mir das Sicherheit. Wenn ich aber einen Plan habe, an den ich mich zu halten habe, dann kommt bei mir die Unsicherheit. Weil es könnte ja passieren, dass es nicht so klappt, wie ich es vorher ausgemacht habe oder mir das überlegt habe. Und wenn ich aber sage, dass alles möglich ist und ich kann jederzeit alles entscheiden, wie ich gerade Lust dazu habe, dann kann nichts schiefgehen. Es kann nichts Falsches passieren, weil es kein Falsch gibt. Und das gibt mir halt Sicherheit. Das heißt aber nicht, dass ich mir keine Sachen überlege oder nicht übe. Ich habe mein Equipment unter Kontrolle, und mache nicht einfach irgendwas. Also ich bereite mich schon vor. Aber allein nur der Gedanke zählt, dass ich es auch anders machen kann. Zum Beispiel bin ich im damaligen AU für einen Auftritt mit meinem ganzen Equipment hingegangen und habe alles aufgebaut, Soundcheck gemacht usw. Und kurz vorm Einlass habe ich beschlossen, dass ich jetzt eine rein vokalistische Performance machen mag und habe dann meine ganzen Gerätschaften weggelassen.
Und warum hast du das damals gemacht?
Ich habe mich zu diesem Zeitpunkt intensiv mit dem Thema Lautmalerei beschäftigt. Also man nennt das auch Onomatopoesie. [lachen] Ich kannte das noch aus dem Lateinunterricht, weil wir haben damals Texte gelesen von Cäsar und der hat onomatopoetische Begriffe verwendet. Zum Beispiel hat der in einem Text sinngemäß geschrieben: „Mit einem ‚Magnum Ululatum‘ sind sie auf uns zugelaufen“. Und „Ululatum“ heißt nichts. Und es war einfach nur das Bild, das Leute auf ihn zugelaufen sind, die so solche Ausrufe gemacht haben. Und das ist ein onomatopoetischer Begriff. Also wenn du quasi aus etwas einen Begriff machst, das du vom Klang her beschreibst.
Hhmm. Also zum Beispiel, wenn du Miau sagst oder schreibst und eine Katze meinst, so etwas?
Zum Beispiel, ja. Oder der Ausdruck ‚eine Gitarre schrammen‘. Also ‚schrammen‘ ist auch schon sehr lautmalerisch.

“Wie kann ich Bilder erzeugen?”
Okay, aber geht es eher um Sprache im Sinne von Poesie oder um Klänge?
Wurscht. Wie kann ich Bilder erzeugen, darum gehts. Ich habe mich damals damit beschäftigt, wie ich mit Lauten, die jetzt keine Worte sind, Bilder erzeugen kann. Und das gibt es einerseits in der Sprache, aber mich hat interessiert: gibt es das auch live interpretiert? Zum Beispiel wenn ich einfach nur Geräusche mache und damit aber ganze Bilder erzeuge. Das könnte ich auch mit meinem Equipment machen, aber mich hat vor allem meine Stimme dabei interessiert. Wenn du dich mit Lauten beschäftigst und mit Begriffen und Bedeutungen dann wird es auch sehr philosophisch, dann beschäftigst du dich mit Semantik, weil du darüber nachdenkst: Was sind eigentlich Worte, was sind Begriffe? Wurscht… Dann stand ich da jedenfalls auf der Bühne und ich wusste jetzt ist gleich Einlass und ich bin die Erste, die performt. Und da habe ich mir so gedacht, ich will nicht, dass da jetzt irgendeine Einlassmusik läuft. Und ich war gerade beim Mikro und dachte dann: Ich atme da jetzt rein und die Leute sollen reinkommen und ich stehe schon auf der Bühne. Und dann habe ich denen gesagt: Lasst die Leute rein, aber spielt keine Musik. Und dann habe ich so geatmet und die Leute sind halt reingekommen und irgendwann habe ich angefangen immer lauter zu atmen und zu diesem Luftstrom kam halt immer mehr meine Stimme dazu. Und ich wusste: Ich will jetzt ausprobieren was passiert, wenn ich einfach nur Bilder aus Geräuschen zeige, die ich mit der Stimme mache.
Ja, krass. Und wie lief das Experiment? Und was hat das damit zu tun, ob du jetzt etwas aufnimmst oder nicht? Man kann sich natürlich dafür entscheiden, dass man nur so arbeitet wie Sandmaler:innen, die ein Sandmandala machen und dann kommt der Wind und es ist weg.
Also das Ding ist, dass ich mir das eben rausnehme, dass ich jederzeit einem Impuls, der da einfach kommt, folgen kann. Und sagen kann: Ich mache das jetzt einfach, weil ich es gerade als richtig empfinde. Auch wenn ich mir irgendwas vorbereitet habe, ich muss es nicht tun.
Dabei fällt mir ein, wie du beim Unsafe+Sounds gespielt hast, als die Polizei in der Zacherlfabrik vor deinem Auftritt kam und du wolltest eigentlich etwas Lautes mit Noise machen und alle hatten Sorge wegen der Lautstärke. Und du hast dann sofort vorgeschlagen, etwas ganz ruhiges zu machen mit Gedichten und Texten… das war auch sehr schön.
Genau, ja. Das gibt mir deswegen Sicherheit, weil ich weiß, dass so viele Faktoren eben eine Rolle spielen und ich will nicht, nur weil ich mir etwas zurechtgelegt habe, es in eine Situation zwängen, die das gar nicht hergibt. Also die Vorstellung, dass ich jetzt zum Beispiel etwas vorbereitet habe, wo ich Leute animiere und so voll Partylaune erzeuge. Und dann komme ich in den Konzertraum und da ist plötzlich Sitzpublikum. Die Vorstellung, dass ich da dann mein Programm abspielen muss, obwohl das überhaupt nicht zur Stimmung und zu den Leuten passt… da kriege ich Zustände!
Das verstehe ich, aber du hast ja auch das Soundpiece für Südkorea produziert, hat das bei deiner Angstbewältigung geholfen? Also man kann ein Setting, eine Stimmung ja auch bewusst erzeugen.
Ja, ja, voll. Es ist alles ein bisschen weird, schwer zu erklären.
[Denkpause]

“das bin ich dann fünf Jahre später nicht mehr”
Ich denke, das ist eine tiefere Thematik, die wir jetzt möglicherweise nicht abschließend klären können. Das geht oft am besten in der Retrospektive. Beim nächsten Interview.
Ich kann versuchen es kurz zusammenzufassen. Es ist so, dass ich anscheinend in mir eine Angst habe, mich festzulegen, weil ich mich eben verantworten muss dafür, dass ich diese oder jene Entscheidung getroffen habe. Also zu sagen: Das ist meine Arbeit, die repräsentiert mich. Eben weil ich meine künstlerische Praxis als meinen Safe Space empfinde. Ich bin eh immer so anders und immer variabel und deswegen kann man mich nicht auf eine Sache fest machen, kannst nicht sagen: Karo ist soundso.
Ja, das kann ich nachvollziehen, eine Art Schutzschild. Aber, was wäre jetzt anders daran, wenn du deine ganzen Gigs aufgenommen hättest und man könnte die nachhören?
Ja, dass dann eben jemand sagt: Das macht Karo, das ist Karo. Aber das bin ich dann fünf Jahre später nicht mehr.
Ja verständlich, wer will schon in eine Schublade kategorisiert werden. Aber du könntest auch sagen: Hey, hier sind 50 Sachen, die ganz unterschiedlich sind. 50 Mal Karo, jedes Mal ist Karo anders. Den Karo-Sound, gibt es nicht. Nur viele. Das würde sich dann ja in der Vielfalt widerspiegeln.
Es ist nicht logisch, sondern mehr ein inneres Gefühl. Und es ist ja oft so, dass Ängste keinen Sinn machen. Also das Ding ist, dass ich jetzt schon seit Jahren ein Soloalbum aufnehmen will…
Ja, genau. Der Plan war ja schon lange ein Interview zu deinem Albumrelease zu machen, aber weils nicht kommt, machen wir jetzt trotzdem ein Interview, denn dein Schaffensprozess ist ja ongoing.
Ja, ich schaffe es jedes Jahr wieder nicht. Und es geht mir selber schon so auf den Kieker. Also es nervt mich schon. Und ich will es endlich schaffen! Ich muss jetzt einfach noch mehr dahinter schauen, worum es da tatsächlich geht, warum ich solche Angst davor habe.
Aber du kooperierst ja viel mit anderen Leuten, da musst du dich ja auch irgendwie festlegen. Oder sagen die einfach: Karo mach was du willst, wird schon passen. Oder wie machst du das?
Ja, das ist eben gerade ein sehr aktuelles Thema. Weil wenn ich mit wem anderen zusammenarbeite, dann ist es immer so, dass jemand anders seine, ihre, deren Idee verwirklichen möchte. Und ich bin nur Teil davon. Ich bin noch nie hergegangen und hab gesagt: Hey, ich hab jetzt mal eine Idee, wollt ihr das mit mir verwirklichen.
Es gehen ausschließlich Leute auf dich zu und fragen dich?
Genau. Immer. Und das ist auch sehr angenehm und einfach. Weil, wenn es mir nicht gefällt, dann kann ich eben sagen, dass ich es nicht so gelungen finde, weil das ist dann sein, ihr, deren Projekt.
Aber wenn es deine Idee gewesen wäre, könntest du das doch auch kritisch hinterfragen? Aber ich kann total verstehen, dass das unbefriedigend ist, weil du selbst so voller Ideen steckst…
Ja. Und ich will es jetzt endlich schaffen, dass ich meine eigenen Projekte starte und, dass ich mein eigenes Soloalbum mal mache. Und einfach sagen kann: Ja, das habe ich gemacht und das war zu einem Zeitpunkt, wo es sich richtig angefühlt halt. Und fertig. Aber ich hab da irgendwelche komischen Blockaden.
Vielleicht wäre es einfacher mit einem Live-Album für dich? Du hast genug Solo-Auftritte und sicher auch die eine oder andere Aufnahme. Und suchst dir ein Konzert aus oder nimmst ein Stück aus jedem…
Ich glaube, dass ich mich halt sehr gern selbst sabotiere. Also Selbstsabotage findet bei mir die ganze Zeit statt.
Aber dafür findet bei dir trotzdem sehr viel statt, du machst urviel meine Liebe.
Ja. Aber ich glaube, dass ich mich selbst sabotiere, weil ich es noch nicht geschafft habe, zu sagen: Okay, ich mache jetzt wirklich ernst draus. Im Sinne von, es ist jetzt was ich mache, das bin ich. Ich habe, glaube ich, vor allem Angst davor aus dem, was ich tue, ein Business zu machen. Weil es dann keinen Spaß mehr machen könnte. Und das ist meine größte Angst. Dadurch, dass ich sehr impulsgesteuert bin, ist Kunst für mich sehr lustvoll. Es geht mir viel darum, dass ich Lust empfinde. Und sobald ich daraus ein Business mache, muss ich dann sehr viel planen. Und dann auch funktionieren … und ich habe Angst, dass mir dann die Lust verloren geht.
Das kann ich gut nachempfinden. Aber wenn du etwas anderes machst, das Geld reinbringt, kann dir genauso die Lust verloren gehen. Ich meine, du könntest es einfach mal ausprobieren. Einen Testzeitraum festlegen, und wenns dir nicht taugt, kannst du dann immer noch sagen: Ich mache jetzt nur noch das, worauf ich Bock habe. Also ich glaube es ist besser, etwas auszuprobieren und dann zu scheitern, als es nicht ausprobiert zu haben. Dann hat man ein Ergebnis und damit kann man arbeiten. Aber ja, ich habe gut reden, weil es nicht um mich geht. Ich kann das nämlich auch nicht.
Ja, also, ich bin eben ein Freund von jeglicher Art von Bewegung und Entwicklung. Also, dass man quasi stagniert aufgrund irgendwelcher blöden Ängste, das ist so das Deppertste irgendwie. Auch wenn es eben ein Scheitern ist oder eine Fehlentscheidung, bringt es einen trotzdem weiter.
Ich sag mal, wir sprechen uns wieder, wenn dein Album im Kasten ist und dann können wir darüber reflektieren, wie die Auseinandersetzung mit der Blockade war, wie du deinen Frieden damit gefunden hast.. oder eine Dynamik. Danke für deine Zeit und dafür über Ängste zu sprechen, das wird viel zu selten gemacht. Ich freue mich jedenfalls schon sehr drauf und auf alle Live-Konzerte, Performances und Soundscapes, die bis dahin noch kommen.

KARo PREUSCHL

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